Tonnenschwere Aufträge, ­familiäres Klima

Die Härterei REESE im Bochumer Norden härtet weltweit Stahl und andere metallische Stoffe. Mit fünfmal fünf Metern haben sie die größte Ofenanlage dieser Art in Europa. Hier können Teile von bis zu 40 Tonnen gehärtet werden. Was die Firma mit 75-jähriger Geschichte und mittlerweile vier Standorten erfolgreich macht, erklären Jörg Döllekes und Christian Ewers aus dem Management des Unternehmens.
Von Christina Kiesewetter
Rechts schießt eine Flamme in die Höhe, von links platziert ein Kransystem Stahlteile über dem Ofen, durch das Gitter am Boden blickt man in die Tiefe, wo die Öfen irgendwo enden. Zwischendrin steuern Arbeiter per Fernbedienung, am Bildschirm und von Hand alle Arbeitsschritte in der Produktion der Härterei. In der riesigen Halle ist es laut, etwas diesig, mal kühl und dann wieder sehr warm, überall ist Bewegung – es ist ein riesiges industrielles Wimmelbild, in dem man lange versinken und immer wieder etwas Neues entdecken kann.
Geschäftsführer Jörg Döllekes und Christian Ewers, kaufmännischer Leiter, führen durch die Produktionshallen in Bochum-Riemke an der Stadtgrenze zu Herne. „Raten Sie mal, wofür das ist“, fragt Ewers. Da steht eine Art Stahl-Schablone, etwa anderthalb Meter hoch und einen Meter breit. Die Löcher haben leicht verspielte Muster. Christian Ewers klärt auf: „Das ist eine Gießform für Pflastersteine. Sie ist für den asiatischen Markt, da gibt es unsere Steine in der klassischen Knochenform gar nicht.“
Das allerdings ist ein winziges Teil im Vergleich zu den monströsen Zahnrädern, die in der großen Halle auf 3.000 Quadratmetern auf Verarbeitung warten. Die Arbeiter sehen daneben winzig aus. Denn die Härterei REESE besitzt ­Europas größte Ofenanlage, die auf fünfmal fünf Metern 50 Tonnen fassen kann. „Für solche Großbauteile haben wir eine Alleinstellung in Europa“, sagt Döllekes. Hier können Zahnräder oder ­Getriebeteile gehärtet werden, die bis zu 50 ­Tonnen wiegen. Die Schwerindustrie, die Luft- und Raumfahrt, der Schiffsbau, der Maschinen- und Anlagenbau ­sowie die ­Windkraft- und Offshore-Industrie brauchen ­solche Größen. Jährlich werden in Bochum ca. 20.000 ­Tonnen an Stählen und anderen metallischen Werkstoffen gehärtet. Das ­erfordertet eine hohe reproduzierbare Qualität, die das Unternehmen im Laufe der langen Tätigkeit immer weiterentwickelt hat.
Was die kleine Schmiede früher für die Werkzeuge der Handwerker war, ist REESE heute für die Industrie. Stahl und andere metallische Stoffe werden mit verschiedenen Verfahren so wärmebehandelt, dass sie härten – also den Belastungen standhalten, für die sie eingesetzt werden sollen. „Wir bieten sämtliche Verfahren an, die auf dem Markt üblich sind“, so Christian Ewers. Und das sind einige: Härten und Vergüten, Einsatzhärten, Randschichthärten, Vakuumhärten, Nitrieren und Plasmanitrieren. Letztere führen dem Metall Stickstoff und/oder Kohlenstoff zu.
„Dieses Familienunternehmen hat noch nie Leute entlassen. Schon der alte Reese hat seine Leute immer gut behandelt, sich gekümmert. Es gibt hier einfach ein starkes ­Wir-Gefühl, das in der Industrie so nicht üblich ist.“
Wenn Döllekes und Ewers von diesen Verfahren erzählen, sind sie in ihrem Element und spielen sich gegenseitig die Bälle zu. Denn das können sie schon viel länger, als sie ­gemeinsam bei REESE arbeiten. „Wir haben schon bei der E-­Jugend von Wattenscheid 09 zusammengespielt“, sagt Döllekes schmunzelnd. „Und hier bei REESE haben wir uns dann wiedergetroffen.“ Noch heute sitzt Döllekes im Aufsichtsrat von Wattenscheid 09, die REESE-Gruppe ist Businesspartner des Fußballvereins. Auch in Sprache und Mentalität sind die beiden dem Ruhrgebiet eng verbunden: Sie packen an, sie erklären klar und ohne Management-Chichi.
Deshalb schätzen sie es auch, in einem inhabergeführten Familienunternehmen zu arbeiten. REESE hat gerade erst seinen 75. Geburtstag gefeiert. In den letzten 30 Jahren hat sich die Gruppe durch neue Standorte in Brackenheim, Chemnitz und Weimar deutschlandweit verstärkt. Mit über 200 Anlagen für die Wärmebehandlung bietet REESE jetzt maßgeschneiderte Lösungen an. Rund 240 Mitarbeiter:innen sind an den vier Standorten beschäftigt.
Schon Firmengründer Dr.-Ing. Helmut Reese setzte wissenschaftliche Impulse und legte den Grundstein für eine innovationsorientierte Firmenkultur. Heute stehen fünf versierte Ingenieure in der Verantwortung an den REESE-Standorten: Christian Altenburger in Chemnitz und Weimar, Philip Reese in Bochum und Brackenheim, Joachim und Julian Reese in Brackenheim sowie Jörg Döllekes in Bochum.
Fachkräfte finden und halten – das fällt REESE leicht. ­Obwohl die Wärmebehandlung im Maschinenbaustudium kaum Thema und die Arbeit der Härterei sehr speziell ist. „Ich habe die Wärmebehandlung auch erst so richtig verstanden, als ich hier angefangen und es in der Praxis miterlebt habe“, sagt Jörg Döllekes. Dennoch spricht sich herum, dass ­REESE ein guter Arbeitgeber ist. „Dieses Familienunternehmen hat noch nie Leute entlassen“, begründet Döllekes. „Schon der alte Reese hat seine Leute immer gut behandelt, sich gekümmert. Es gibt hier einfach ein starkes Wir-Gefühl, das in der Industrie so nicht üblich ist.“ So würden mittlerweile mehrere Familiengenerationen im Betrieb arbeiten.
„Die Duschen im Sozialbereich sehen bei uns aus wie in einer Therme, und im Besprechungsraum gibt es einen Massagestuhl“, zählt Döllekes auf. ­Außerdem setzt REESE den Tarifvertrag der IG ­Metall um – mit Ausnahme einer 37,5- statt 35-Stunden-Woche. Die Firma bietet darüber hinaus Sonderleistungen in der Krankenversicherung. Über Fachkräftemangel kann sich REESE auch deshalb nicht beklagen, weil der Betrieb eine hohe Ausbildungsquote hat. Neben Industriekaufleuten, ­Industriemechaniker:innen und Mechatroniker:innen bildet das Unternehmen Werkstoffprüfer:innen Wärme­behandlungstechnik sowie Maschinen- und Anlageführer:innen aus.
Natürlich ist Energie ein Thema, das die beiden ­Manager umtreibt. „Unsicherheit ist Gift für die gesamte Industrie“, blickt Christian Ewers auf die letzten Jahre zurück. „Stabile Energiekosten und Planungssicherheit, das würde uns sehr helfen.“ Schließlich stehe man im Wettbewerb mit Weltunternehmen und müsse für einige Arbeiten heute ein Angebot machen, dessen Umsetzung noch anderthalb Jahre dauern könne. Durch viele Maßnahmen (siehe Kasten) hat REESE es schon geschafft, den Energieverbrauch deutlich zu senken. Dennoch braucht die Firma 20 Millionen Kilowattstunden Gas und 10 ­Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr. „Wir warten auf die Wasserstoff-Pipelines“, sagt Jörg ­Döllekes. „Die Stadtwerke haben uns zugesagt, dass wir ans Netz angebunden werden.“
Bis dahin hoffen sie, dass es nicht mehr so kommt wie zu Beginn der Ukraine-Krieges. Als Deutschland noch bangen musste, mit den Gasvorräten über den ersten Winter zu kommen, hatte REESE einen großen Auftrag zum Härten aus den USA. „Er war schon in New York am Hafen, aber die US-Regierung hat die Auslieferung gestoppt“, erinnert sich Christian Ewers. „Es war für sie nicht sichergestellt, dass ­Europa ­genug Gas hat, um den Auftrag auszuführen.“

Nachhaltigkeit bei REESE
Die Härterei REESE Bochum hat im März 1999 als erste deutsche Härterei das „Öko-Audit“ nach DIN EN ISO 14001 bestanden. An allen vier zertifizierten Standorten stehen sowohl bei den angewandten härtetechnischen Verfahren als auch beim Gebäude­­management Umweltverträglichkeit und Energieeffizienz im Mittelpunkt der Anstrengungen. Das geht von Photovoltaik auf dem Dach bis zu eigenen Blockheizkraftwerken, von den Zisternen im Boden zum Regenwasser in den Kühlkreisläufen, von prozessgesteuerten umweltgerechten Ofen­an­lagen zur Abwärmenutzung für die Heizung in der Verwaltung – von der Mülltrennung bis hin zur Blumenwiese für die Bienen. Durch konsequente Modernisierung der Bestandsöfen konnte REESE die CO 2-Emissionen um 1000 Tonnen pro Jahr reduzieren. Um weitere Energien einzusparen, sind bereits mehrere Projekte und Investitionen geplant. So hat die Härterei Reese die Baugenehmigung zum Bau einer neuen Randschichthärterei erhalten. Der Startschuss wird Anfang 2025 erfolgen, um weiterhin auf den Standort zu setzten und Arbeitsplätze zu sichern und auszubauen.