DiGA & DiPA – Motoren der digitalen Versorgung

Die Digitalisierung erfasst das deutsche Gesundheitswesen und verändert Versorgungsprozesse nachhaltig. Digitale Gesundheitsanwendungen (GA) und Digitale Pflegeanwendungen (DiPA) sind dabei Schlüsselkomponenten einer patienten- und pflegezentrierten Gesundheitswirtschaft. Sie unterscheiden sich jedoch in Zielsetzung, Regulierungsrahmen, Nachweiskriterien und Erstattungswegen – und bergen zugleich vielfältige Chancen für innovative Geschäftsmodelle.

Definition und Abgrenzung

DiGA sind CE-gekennzeichnete Medizinprodukte niedriger Risikoklassen (I, IIa, seit 2024 auch IIb), deren digitale Hauptfunktion medizinische Zwecke verfolgt: Erkennung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Erkrankungen sowie Kompensation von Beeinträchtigungen. DiPA zielen auf pflegerische Unterstützung ab: Sie stärken Selbstständigkeit, verhindern Verschlechterung und entlasten Angehörige, ohne notwendigerweise Medizinprodukte sein zu müssen. Für beide Formate gilt: Nachweise zum Nutzen sind Pflicht – bei DiGA durch randomisierte oder Vergleichsstudien, bei DiPA über Plausibilitätsanalysen und validiertes Nutzerfeedback.
Praxisbeispiele
DiGA begleiten Betroffene mit digitalen Tagebüchern bei chronischen Erkrankungen, bieten strukturierte Psychoedukations-Module gegen Depression, ermöglichen Home-Monitoring bei Diabetes, führen Nutzerinnen und Nutzer durch mehrwöchige Tinnitus-Lernpfade und unterstützen postoperativen Reha-Prozesse mit interaktiven Bewegungsprogrammen.
DiPA liefern per Videoanalyse individuelle Sturzprognosen, aktivieren kognitive Gedächtnisübungen für Demenzpatientinnen, unterstützen Haushaltsorganisation mit digitalen Checklisten, erinnern an Mobilitätsübungen und vernetzen Pflegebedürftige, Angehörige und Pflegedienste über eine gemeinsame Plattform.

Aufnahmeverfahren und Rolle des BfArM

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist Gatekeeper beider Formate. Hersteller laden im elektronischen Portal ihre Produktdossiers, Datenschutz- und Sicherheitskonzepte sowie Evidenznachweise hoch. Im Fast-Track-Verfahren prüft das BfArM binnen drei Monaten Funktionstauglichkeit, Datensicherheit, Interoperabilität und – bei DiGA – positive Versorgungseffekte, bzw. den pflegerischen Mehrwert. Erfolgreiche Kandidaten erhalten zunächst eine vorläufige Listung: DiGA durchlaufen eine Erprobungsphase von 12 bis 24 Monaten, DiPA sind ab Prüfungserfolg dauerhaft gelistet. Erst nach abschließender Nachweiserbringung erfolgt der finale Eintrag und der Erstattungscode.
MDR-Anforderungen als zusätzliche Hürde
Parallel zum BfArM-Verfahren müssen DiGA-Hersteller die strengen Vorgaben der Medical Device Regulation (MDR) erfüllen. Änderungen am Produkt können zu Höherklassifizierung führen, was umfangreiche technische Dokumentation, ein formales Risikomanagement und fortlaufende klinische Evaluation erfordert. Ein Qualitätsmanagement-System gemäß ISO 13485 ist Pflicht, ebenso wie ein Post-Market Surveillance-System zur Sammlung von Nutzungsdaten und Sicherheitsmeldungen. Diese Vorgaben verlängern Entwicklungszeiten und treiben Kosten, sorgen aber für höchste Produktqualität und Rechtssicherheit.

Erstattungswege und alternative Verhandlungsmodelle

Nach erfolgreicher Listung werden DiGA über ärztliche oder psychotherapeutische Verordnung erstattungsfähig: Im ersten Erprobungsjahr dürfen Hersteller den Preis frei festlegen; ab Monat 13 verhandeln sie mit dem GKV-Spitzenverband den langfristigen Erstattungspreis. Patientinnen und Patienten aktivieren ihre App per Freischaltcode der Krankenkasse, Behandler:innen rechnen extrabudgetär ab.
DiPA lassen Pflegebedürftige direkt bei der Pflegekasse beantragen; bis zu 50 € monatlich stehen für App und ergänzende Unterstützungsleistungen bereit. Daneben eröffnen Selektiv- oder Direktverträge mit einzelnen Krankenkassen (§ 140a SGB V) individuelle Vergütungsmodelle und schnelle Pilotvorhaben. Förderprogramme wie der E-Health-Innovationsfonds unterstützen Studienfinanzierung und Modellprojekte.
Die aktuellen Verzeichnisse können direkt online eingesehen werden: Das DiGA-Verzeichnis unter https://diga.bfarm.de/de/verzeichnis.
Ein erfolgreicher Markteintritt erfordert ein klares Profil: Entscheiden Sie, ob Ihr Produkt als Medizinprodukt (DiGA) oder als Pflegeanwendung (DiPA) einzustufen ist. Ableitend bestimmen sich regulatorischer Aufwand und Erstattungsweg. Planen Sie belastbare Evidenzstrategien mit Pilot- und RCT-Studien für DiGA und validierten Nutzerbefragungen für DiPA. Setzen Sie auf ein ISO 27001-konformes ISMS und implementieren Sie FHIR-Schnittstellen, um nahtlose Integration in Versorgungsnetzwerke und Akzeptanz bei Kostenträgern zu gewährleisten. Kalkulieren Sie Erprobungsjahr-Preissetzung, Vorbereitung auf Vergütungsverhandlungen und prüfen Sie parallel Selektivvertragsoptionen. Pilotkooperationen mit Ärzt:innen, Pflegeeinrichtungen und Krankenkassen liefern belastbare Referenzdaten und fördern nachhaltigen Roll-out.

Fazit aus IHK-Sicht

DiGA und DiPA sind keine Austauschformate, sondern klar definierte Bausteine einer modernen, vernetzten Gesundheits- und Pflegeversorgung. Die MDR-Hürden sichern zwar Qualität, erhöhen aber Aufwand. Wer regulatorische Anforderungen, Evidenznachweis und kreative Erstattungswege – vom klassischen Fast-Track über Direktverträge bis zu Förderprojekten – flexibel kombiniert, etabliert sein digitales Angebot nachhaltig in der Versorgung von morgen.