IHK Berlin
Die Krise als Chance für die Mutigen
Die deutsche Wirtschaft steht vor einer Epochenwende – aber das Land, Bürger wie Politiker, drohen diese zu verschlafen. Christian Lindner sieht sich als Wachrüttler.
© Kerstin Jana Kater – IHK Berlin
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Die deutsche Wirtschaft unter Druck
Wenn Systeme unter Druck geraten, stellen sich die großen Fragen: Wie gehen sie damit um, wie müssen sie sich verändern? Und halten sie den Druck überhaupt aus? Dies war die Klammer, die das wirtschaftspolitische Frühstück mit Christian Lindner zusammenhielt. Bereits die Begrüßung Dr. Beatrice Kramms, der IHK-Präsidentin, machte deutlich, dass es an Belastungen im Moment ganz sicher nicht fehlt. Die Corona-Epidemie schränke bereits in zwei von drei Berliner Unternehmen die Geschäftstätigkeit ein, besonders leide die in Berlin so wichtige Tourismusbrache. Liquidität, so Kramm, werde bei manchen Unternehmen bald knapp, entsprechende Hilfen seien dringend angezeigt. Dennoch bleibe Optimismus Pflicht, meinte Kramm, ganz mit der Entschlossenheit einer erfahrenen Unternehmerin.
Damit hatte sie den dieser Tage gebotenen Tenor aus realistischer Sorge und trotziger Zuversicht gesetzt, den auch der Gast über weite Strecken des Morgens aufzunehmen gewillt war. Nachdem Lindner noch einmal selbstkritisch die Thüringer Verwicklungen seiner Partei hatte Revue passieren lassen, schwenkte auch er zur Corona-Epidemie und ihren wirtschaftlichen Folgen. Kritik äußerte er an unklaren Zuständigkeiten im deutschen Föderalismus – ein Topos, der an diesem Morgen noch öfter aufkommen sollte. Geübt legte er dar, welche schnellen und längerfristigen Hilfen die öffentliche Hand Unternehmen in der Krise anbieten müsse, dabei die von Kramm genannten Liquiditätshilfen an erste Stelle setzend. Doch die eigentliche Herausforderung, so Lindner, seien die langfristigen Effekte der Krise, die, so äußerte er die Vermutung, Deutschland und seine Wirtschaft auf den Prüfstand stelle. Deutschland brauche nicht nur kurzfristige Maßnahmen – das Land müsse sich wieder auf die Zukunft einlassen.
Deutschland hat das hohe Wirtschaftswachstum nur unzureichend genutzt
Deutschland habe die vergangenen zehn Jahre hohen Wachstums nur unzureichend genutzt, so Lindner, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, zu wenig sei investiert, zu wenig sei innoviert worden. Für seine Feststellung, Deutschland könne es sich nicht leisten, ein Hochsteuerland zu sein, erntete er Applaus, ebenso für sein Plädoyer, Europa müsse sein Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell im weltweiten Wettbewerb sichern. Dazu bedürfe es aber eines optimistischen Herangehens an Technik und Innovation, an Digitalisierung und Unternehmensgründung.
Das Publikum, an Lindners eloquentem Vortrag ebenso interessiert wie augenscheinlich gut durch diesen unterhalten, kam in der anschließenden Diskussion bei Fragen nicht zu kurz. Jan Eder, Hauptgeschäftsführer der IHK Berlin, läutete die Fragerunde ein und bat seinen Gast, noch einmal die karibischen Nächte der Koalitionsverhandlungen vor zwei Jahren bewerten, was dieser unterhaltsam und durchaus launisch im Ton, aber sicher in der Sache tat: Für Lindner bleibt die Entscheidung gegen das Jamaika-Bündnis die richtige. Das Publikum war an der Einschätzung der politischen Konkurrenten der Liberalen ebenso interessiert wie an den parteipolitischen Problemlagen der FDP. Überlegungen zu einer Doppelspitze kommentierte Linder, er sei konservativ in dem Sinne, dass für ihn das Programm wichtiger sei als das Personal.
Als Ratefuchs jedoch konnte der Liberale zum Ende des Frühstücks nicht überzeugen. Als Eder ihm eine kleine Quizfrage zu deutschen Städten und deren Anteil an Glasfaseranschlüssen stellte, lag jener erst einmal daneben. Nur als es darum ging, den letzten Platz zu benennen, war leider jedem im Saal klar, um welche Stadt es sich handeln musste: Berlin, wo nur drei Prozent aller Anschlüsse als echte Glasfaser verlegt sind. Auf die Zukunft, muss man sich auch hier noch einlassen.
von Christian Nestler