IHK Berlin

Digitales Wirtschaftsgespräch mit Bundesministerin Dr. Franziska Giffey

Pragmatisch anpacken und wirtschaftsfreundliche Politik

Im Digitalen Wirtschaftsgespräch am 16. Oktober war die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Franziska Giffey, zu Gast bei der IHK Berlin im Ludwig Erhard Haus. Die Szenerie sah aus wie kürzlich bei der Vorgänger-Veranstaltung mit Wirtschaftssenatorin Ramona Pop: ein Fernseh-Studio mit live-Gästen auf dem Podium und Zuschauern an den PC-Bildschirmen „draußen“.
Nach ihrem kurzen Impulsreferat zum Thema „Veränderung gestalten - Herausforderungen und neue Chancen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ ging es um aktuelle wirtschaftspolitische Themen und das anstehende Wahljahr 2021. Die digital dazu geschalteten Zuschauer konnten über den Chat-Kanal Fragen einbringen.
Wie die Präsidentin der IHK Berlin Dr. Beatrice Kramm bei der Begrüßung sagte, ist es knapp anderthalb Jahre her, da war Franziska Giffey zuletzt Gast im Ludwig Erhard Haus: „Der Saal war vollbesetzt, wir haben dicht an dicht gesessen und wir konnten uns persönlich austauschen. Seither ist die Welt eine andere geworden.“ Aber gerade jetzt in der Krise muss man die wichtigen strukturellen Herausforderungen angehen, meinte Kramm. So sei Giffeys Arbeitsgebiet - die Vereinbarkeit von Beruf und Familie - ganz klar ein wichtiges Wirtschaftsthema! Für Berliner Unternehmen und ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen geht es dabei praktisch um die Arbeitsfähigkeit in den Betrieben.
Natürlich sei die Kinderbetreuung, wie Giffey in ihrer Antwort betonte, für die Wirtschaft systemrelevant: „In dem Moment wo wir etwas für die Familien tun, tun wir was für die Wirtschaft.“ In dem Zusammenhang ging sie auf das neue Förderprogramm „Betriebliche Kinderbetreuung“ ein. Investitionen in eine verlässliche Kinderbetreuung sind enorm wichtig, so Giffey. Der Bund investiert eine zusätzliche Milliarde, von der rd. 48 Mio. Euro nach Berlin in den Kita-Ausbau fließen. Zum Thema „Schule und Digitalisierung“ hat die Ministerin eine klare Meinung: „Da wird viel Geld reingegeben, aber die Infrastruktur ist noch schlecht. Da müssten wir viel besser werden!“ Das Schulmanagement müsse vor allem die Fördergelder auch beantragen, die bereit gestellt werden - und nicht sagen „keine Lust.“
Die Pandemie hat Familien und ihre Arbeitgeber massiv an ihre Grenzen gebracht, schloss IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder an: „Unsere Corona-Hotlines und die IHK-Umfrage zur fehlenden Kinderbetreuung beispielsweise offenbarten existenziell bedrohliche Situationen. Frau Dr. Giffey, wie wird unsere Post-Corona-Arbeitswelt aussehen? Homeoffice da, wo es zum Arbeitstyp und zur Aufgabe passt? Wie ist Ihre Position zu dem von Ihrem Minister- und Parteikollegen Heil vorgeschlagenen gesetzlich verankerten Anspruch auf Homeoffice?“
Giffey antwortete mit einem spontanen „Das geht ja gar nicht“! – Jedenfalls geht es nicht in allen Berufen und so wäre es ja auch gemeint: dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich darüber absprechen, wann und wo es geht oder nicht. „Das letzte Wort soll schon der Arbeitgeber haben“, formulierte die Ministerin klar. Aber man könnte flexibler damit umgehen als bisher. „Für viele Firmen zeigte sich sogar eine Kostenersparnis, weil Dienstreisen gegen Online-Meetings getauscht wurden“.
„Aus Sicht der ehemaligen Neuköllner Bezirksbürgermeisterin (2015-18) und seit 2018 Bundespolitikerin: Wie haben Sie die Hilfsangebote der Berliner Politik in den Wochen des Lockdowns erlebt?“ fragte Eder. Giffey schilderte, dass sie die kurzfristigen Hilfen für „Solo-Selbstständige“ gut und richtig fand. Viele Menschen hätten ihr in persönlichen Gesprächen bestätigt, dass ihr Geschäft dadurch gerettet wurde und sie für die schnelle Hilfe aus Berlin dankbar seien. Aber gerade anfangs sei der Berliner Mittelstand mit den Betrieben über zehn bis 200 Mitarbeitern zu kurz gekommen, der die „Menge“ der Berliner Unternehmerschaft ausmacht. „Wenn wir Gelder sozial ausreichen wollen, dann müssen diese erstmal erwirtschaftet werden. Und das ist der auch der Kern: Wir brauchen eine wirtschaftsfreundliche Politik in Berlin.“ 
Fünf Bausteine sind der Ministerin gerade auch im Wahlkampf wichtig: Gute Arbeit und eine starke Wirtschaft, Bildung und Wissenschaft, Sicherheit und Ordnung, ein funktionierender ÖPNV, mehr Wohnungsbau und bezahlbare Mieten. Da hakte Jan Eder ein: „Die Mietenpolitik und die Angst vor Enteignungen bewegt viele Berliner“, stellte der IHK-Chef fest. Moderator und Gast waren sich einig, dass Hamburg in Sachen kooperativem Wohnungsbau und einen verpflichtenden Zahl von Baugenehmigungen einen vielversprechenderen Weg für mehr bezahlbaren Wohnraum geht.
Giffey berichtete, dass sie, wenn sie im Bundesgebiet unterwegs sei, gefragt werde: „Kann man in Berlin noch investieren?“. Tatsächlich gehe die Angst vor Enteignungen um. Da muss man, so Giffey, positive Signale senden: „Wir wollen eine Stadt, in der sich alle die Innenstadt leisten können. Investoren sind grundsätzlich was Gutes für die Stadt. So werden wir die Tesla-Region! Das ist wie VW für Wolfsburg.“ Man müsse auf die soziale Durchmischung bei Stadtquartieren achtgeben, Partnerschaften zwischen städtischen und privaten Wohnungs- und Baugesellschaften fördern, und das Level des Wohnungsneubaus erhöhen. Vielleicht sei ein runder Tisch Wohnungsbau nach Hamburger Vorbild auch für Berlin eine gute Sache.
Auf jeden Fall will sich Giffey für eine besser funktionierende Verwaltung einsetzten, in der die Dienstleistungen für den Bürger kein Problem darstellen. Angeregt durch eine Frage aus dem Chat schilderte sie ein Verwaltungsbeispiel, in dem es um die Wartezeiten bei den Bürgerämtern ging – und äußerte ihren Eindruck, dass es hier besser geworden sei. „Berlin ist sehr attraktiv. Berlin hat Anziehungskraft überall auf der Welt. Aber wir müssen dafür sorgen, dass diese Stadt funktioniert.“ In diesem Zusammenhang sei die Bezahlung für gute Verwaltungsfachkräfte in Berlin ein altbekanntes Problem, so dass die „besseren Verdienstmöglichkeiten beim Bund“ Bewerber oder Angestellte einfach weglockten.
Gegen Ende der Veranstaltung erinnerte Eder ebenfalls an den Besuch im Mai 2019: „Als unser Gast im letzten Jahr, liebe Frau Dr. Giffey, haben Sie es auf Anhieb unter die TOP 3 unseres virtuellen ‚IHK-Applausometers‘ geschafft. Ein Vergleich mit heute wäre jetzt natürlich sehr spannend. Aber ohne Live-Publikum bekommen wir das nicht hin“. Aber, so Eder weiter, „da Sie aktuell mit sehr guten Chancen Ende des Monats für den Landesvorsitz der SPD in Doppelspitze mit Raed Saleh kandidieren, ist das ja auch erfreulich für Sie. Und vielleicht ist das hier und heute ein Zwischenstopp der Bundesfamilienministerin auf dem Weg zur künftigen Regierende Bürgermeisterin von Berlin“.
Von Christine Nadler
Leitende Redakteurin der „Berliner Wirtschaft