Öffentliche Beschaffung als Treiber für eine innovative und zukunftsweisende Metropole

Der bürokratische Aufwand, den Unternehmen im Bieterverfahren stimmen müssen, hat mittlerweile dramatische Ausmaße erreicht. Zugangsbeschränkungen für Startups und junge Unternehmen sowie ein unzureichender Fokus auf qualitativ hochwertige und technologisch neue Lösungen schließen die innovative Wirtschaft oftmals per se aus. Die hausgemachte Komplexität von Beschaffungsvorgängen inklusive zahlreicher vergabefremder Kriterien halten nicht nur Unternehmen fern, sondern bringen auch die Verwaltung selbst bei Umsetzung und Kontrolle an ihre Grenzen. Immer mehr Bundesländer haben die Zeichen der Zeit erkannt und die notwendigen Voraussetzungen für die öffentliche Vergabe als Investitions- und Innovationshebel auf den Weg gebracht. Sie leisten damit einen Beitrag zu notwendigen Reformen im Sinne eines schlanken und funktionierenden Staates. Jetzt ist es auch für Berlin höchste Zeit, sich wieder auf die ursprünglichen Vergabegrundsätze zu besinnen und Bürokratie abzuschichten, Bieterkreise zu erweitern und wirtschaftlich sinnvolle Investitionen zu tätigen.
Die öffentliche Beschaffung in Berlin braucht einen Paradigmenwechsel, um auf die Höhe der Zeit zu kommen. Dieser muss vom grundsätzlichen Gedanken einer Partnerschaft auf Augenhöhe zwischen Wirtschaft und Verwaltung getragen sein. Gegenseitiges Vertrauen, ein hohes Maß an Kompetenz und schlanke Strukturen bilden dafür die Grundlage. In diesem Sinne fordert die Berliner Wirtschaft:
Wertgrenzen anpassen
Durch die Erhöhung der Wertgrenzen für Liefer- und Dienstleistungen sowie Bauleistungen würde eine Vielzahl von Beschaffungen per Direktauftrag bzw. über vereinfachte Verfahren wie beschränkte Ausschreibungen/Verhandlungsvergaben für Wirtschaft und Verwaltung in der Umsetzung unbürokratisch möglich bzw. beschleunigt. Nicht zuletzt in Anbetracht der im Land Brandenburg bereits vollzogenen Anhebungen und Vereinfachungen muss Berlin mitziehen, um regionale Wettbewerbsnachteile zu beseitigen.
Was jetzt zu tun ist:
  • Direktauftrag für Liefer-, Dienstleistungen und Bauleistungen bis 100.000 Euro
  • Verhandlungsvergabe/'Beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb für Liefer- und Dienstleistungen bis 221.000 Euro
  • freihändige Vergabe für Bauleistungen bis 1 Mio Euro ermöglichen.

Mit weniger Bürokratie zu mehr Masse und Klasse
Weniger Bürokratie und Vergabevorschriften bedeuten mehr Unternehmen als Interessenten für öffentliche Aufträge bzw. neue Bieterkreise im innovativen Spektrum. Vom geringeren Prüf- und Dokumentationsaufwand profitiert auch die Verwaltung. Prozesse werden beschleunigt und Ressourcen in den Behörden frei, welche in die wettbewerbliche Auswahl von Lösungsvorschlägen fließen können. Grundsätzlich sollten nur Kriterien erhoben werden, die direkt zum Beschaffungsgegenstand gehören und durch die Verwaltung mit vertretbarem Aufwand überprüfbar sind.
Was jetzt zu tun ist:
  • soziale und ökologische Kriterien, die bereits in anderen Gesetzen und Vorschriften geregelt sind, aus dem Vergabereich herauslösen
  • Darlegung von Eignung und Zugangsvoraussetzungen der Unternehmen über Eigennachweisführung stärken
  • systematische Vereinheitlichung der relevanten Formulare
  • formale Zugangshürden abbauen - z.B. Umsatzhöhe in angemessener Relation zum Auftragswert sowie nachzuweisende Referenzen praxisnah festlegen
  • punktuelle Kontrollen der Eigennachweise bei erfolgreichen Bietern erhöhen.
Innovationskraft aus Mittelstand und Startups aktiv nutzen
Das Innovationspotenzial der Wirtschaft findet nur unzureichend Zugang in die öffentliche Beschaffung, obwohl es von großer Bedeutung für den Einsatz in Stadt und Verwaltung ist. Neben Bürokratiebelastungen und formalen Zugangsbeschränkungen ist die Leistungsbeschreibung ein wesentlicher Faktor für Akzeptanz in der Wirtschaft und im Wettbewerb um die beste Idee. Eine detaillierte Beschreibung des Lösungsweges ist nicht die Aufgabe der Verwaltung, sondern liegt in der Kernkompetenz der Unternehmen. Vielmehr sollte sich die Leistungsbeschreibung auf das zu lösende Problem beschränken.
Darüber hinaus können Unternehmen auf Grundlage der Ausschreibung oft nicht einschätzen, ob ihr Leistungsangebot passend zur Problemstellung und welcher Aufwand mit dem Bieterverfahren verbunden ist. Mehrstufige Angebotsverfahren, ausgehend von einer Projektskizze, schaffen für beide Seiten Klarheit.
Im Zuge der Wertschätzung für den Aufwand bietender Unternehmen sollte, gemessen an der Komplexität und damit verbundenen Pitches, eine gewisse monetäre Kompensation erfolgen.
Was jetzt zu tun ist:
  • Pilotierung einer Innovationsklausel für die Beschaffung innovativer Lösungen als Direktauftrag bis 221.000 Euro, einschließlich Evaluierung nach drei Jahren mit Option auf Verstetigung
  • Beschränkung der Verwaltung auf (funktionale) Leistungsbeschreibungen, die die Problemstellung umfassen und den Lösungsweg der Wirtschaft übertragen
  • Einbindung von CityLAB und/oder GovTech-Campus in vorbereitende Marktrecherchen für Lösungen im Rahmen der Innovationsklausel sowie unterstützende Maßnahmen für die Definition von Beschaffungsbedarfen in der Verwaltung sowie Leistungsbeschreibungen
  • Entwicklung eines Kriterienkatalogs für die monetäre Kompensation der Teilnahme an Pitches im Rahmen von zweistufigen Beteiligungsverfahren.
Erfolgssichernde Rahmen einziehen
Kompetenzen zu aktuellen Markt- und Technologietrends aufbauen und nachhalten: Höhere Wertgrenzen und der Fokus auf Innovation erfordern ein verändertes Mindset in der Verwaltung, denn der Wettbewerbsgrundsatz muss durch intensive Marktrecherchen und -beobachtungen gewährleistet bleiben. ZIel ist es, trotz Ansprache ausgewählter Unternehmen in vereinfachten Verfahren wechselnden und weniger bekannten Unternehmen eine Chance zu geben.
Innovationsfördernde Vergabeverfahren und deren rechtssichere Anwendung fördern: Die Wahl des Vergabeverfahrens oder des Direktauftrags muss grundsätzlich ein Türöffner für innovative Lösungen sein und den direkten Austausch mit der Wirtschaft vorantreiben. Das setzt voraus, dass Verwaltungsmitarbeitende mit den rechtlichen Möglichkeiten im Vergaberecht vertraut sind und vorhandene Handlungsspielräume erkennen und nutzen - zum Beispiel die Öffnung für Nebenangebote, sofern das gewählte Vergabeverfahren dies zulässt.
Aspekte der Wirtschaftlichkeit der Angebote in den Fokus des Zuschlags rücken: Eine verantwortungsvolle und nachhaltige Investitionspolitik erfordert die Einbeziehung von Qualität, Nachhaltigkeit und Risikobetrachtung als entscheidungsrelevante transparente und rechtssichere Zuschlagskriterien - in ausgewogener Ergänzung zur Gewichtung des Anschaffungspreises/billigstes Angebot. Unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit sollten - abhängig von der zu beschaffenden Leistung - regionale Bieter durch Produktion vor Ort und Nähe zum Kunden stärker in den Fokus rücken.
Usability der Vergabeplattform Berlin erhöhen: Die Vergabeplattform stellt kein zeitgemäßes Angebot dar. Sie ist weder nutzerfreundlich noch in Sprache und Prozess klar verständlich. Im Ergebnis ist sie keine Unterstützung, sondern belastet die Ressourcen der Unternehmen. Eine kritische Überprüfung und Optimierung sind notwendig.
Reduzierung und Spezialisierung der Vergabestellen vorantreiben: Die seit langem geforderte Reduzierung der Anzahl der Vergabestellen muss nun Realität werden und mit einer inhaltlichen Spezialisierung einhergehen. Das heißt, innovationsrelevante und/oder besonders komplexe Beschaffungen werden in spezialisierten Vergabestellen mit entsprechend geschultem Personal durchgeführt. Dies setzt Ressourcen frei und erhöht die Qualität der Beschaffungsprozesse. Standardbeschaffungen werden auf andere Stellen konzentriert, so dass sich Spezialwissen und -kompetenzen herausbilden und gezielt entwickeln können.
Land als Referenzanwender positionieren: Der Fokus auf innovative Unternehmen ist eine ideale Voraussetzung für Berlin, sich als Referenzanwender für deren Lösungen - bei entsprechenden Bedarfen in Stadt und Verwaltung - zu engagieren. Damit unterstützt die Stadt nicht nur den Innovationsprozess der Unternehmen aktiv, sondern profitiert auch als erste von neuen Entwicklungen. Besonderes Augenmerk muss hier auch auf dem Faktor Zeit liegen, damit die Innovatoren Wettbewerbsvorteile am Markt realisieren können und nicht von Wettbewerbern aufgrund zu langer Prozesse überholt werden.
Was jetzt zu tun ist:
  • Commitment in der Landesregierung für den Paradigmenwechsel zur wirtschaftlichen und innovationsfördernden Beschaffungs- und Vergabepraxis erreichen und Rückhalt für die operative Verwaltungsebene herstellen
  • Entwicklung einer transparenten Bewertungsmatrix für komplexe und/oder innovative Beschaffungen - bestehend aus Qualität, Nachhaltigkeit, Preis und Risikobetrachtung - unter verbindlicher Anwendung der Total-Cost-of-Ownership-Methode (TCO)
  • Reduzierung und Neuausrichtung der Vergabestellen auf Basis eines auch mittels externer Expertise erstellen Konzeptes
  • bedarfsgerechte Weiterentwicklung des Angebots der Verwaltungsakademie in Bezug auf juristisches Wissen sowie effektive Marktbeobachtung (unter Einbindung von Unternehmen)
  • Budgetierung der Weiterbildung für Verwaltungsmitarbeitende als feste Position im Landeshaushalt sicherstellen
  • regelmäißige Begegnungs- und Austauschformate zwischen Verwaltung und Wirtschaft - auch unter Einbeziehung des CityLAB - entwickeln und durchführen
  • Ausschreibung für die Weiterentwicklung der zentralen Vergabeplattform Berlin + Prüfung der Einrichtung einer Service-Hotline.