Fachkräftesicherung

Update IHK-Fachkräftemonitor 2021

Krisenbedingt ist die Suche nach Fachkräften für viele Unternehmen zuletzt in den Hintergrund gerückt. Die aktuelle Prognose des IHK-Fachkräftemonitors zeigt aber, dass es in Zukunft noch schwieriger werden wird, Personal zu finden. 377.000 Fachkräfte werden nach aktuellen Berechnungen voraussichtlich im Jahr 2035 fehlen. Damit wäre der Fachkräfteengpass - die Lücke zwischen Nachfrage und Angebot - mehr als siebenmal höher als 2021. Das liegt vor allem daran, dass das Angebot in der nächsten Dekade deutlich sinken wird. 2035 werden dem Berliner Arbeitsmarkt demnach 423.000 Fachkräfte weniger zur Verfügung stehen als heute, denn insbesondere ab Mitte der zwanziger Jahre werden viele Babyboomer in Rente gehen. 

Corona-Effekt erstmals ersichtlich

Erstmals lässt sich ein „Corona-Effekt” in Bezug auf das Angebot an und die Nachfrage nach Fachkräften ermitteln. Die Krise verringert den Fachkräfteengpass nur vorübergehend. Ohne die Pandemie und ihre Auswirkungen hätte die prognostizierte „Lücke“ zwischen Fachkräfteangebot und -nachfrage in 2020 bei 138.000 gelegen, durch die Krise lag sie hingegen bei 55.000. Der Anstieg der Arbeitslosen sowie der Rückgang der Beschäftigung bewirken zwar eine Umverteilung, allerdings keine direkte Beeinträchtigung des Fachkräfteangebots.
Der Engpass hat sich vor allem in den krisenbetroffenen Branchen deutlich verringert: So zeigt sich im Gastgewerbe, Handel und der Industrie bis 2022 eine geringere Fachkräftelücke als bisher angenommen, was sich maßgeblich aus der gesunkenen Personalnachfrage erklären lässt. Ab Mitte des Jahrzehnts werden dann - so die Berechnungen - entsprechende Erholungseffekte greifen. Zusätzlich gestiegen ist der Fachkräfteengpass demgegenüber bei den öffentlichen Dienstleistern und im Gesundheitswesen.

Beruflich Qualifizierte besonders gefragt

In den aktuell betroffenen Branchen – wie in der gesamten Wirtschaft – zeigt sich, dass mit den voraussichtlichen konjunkturellen Erholungseffekten ab 2023 und dem bevorstehenden Renteneintritt der sogenannten Babyboomer-Jahrgänge ab Mitte der 2020er, Berlin eine dramatische Verschärfung der Fachkräftesituation bevorsteht. Gerade bei den beruflich Qualifizierten wird die Fachkräfteproblematik nach unseren Berechnungen gravierend sein: Zwischen 2027 und 2033 verdoppelt sich der Engpass auf 264.000, ehe er im Jahr 2035 die Höchstmarke von 314.000 fehlenden Fachkräften erreicht.
Dieser sehr hohe Engpass bei beruflich Qualifizierten kommt maßgeblich dadurch zustande, dass das Angebot noch stärker sinkt als die Nachfrage, die ebenfalls sinken wird. So wird zwischen 2021 und 2035 die Nachfrage nach beruflich Qualifizierten um 127.000 Fachkräfte abnehmen. Allerdings wird das Angebot um 408.000 Personen noch deutlich stärker absinken, wodurch sich die extrem große Fachkräftelücke hier erklären lässt. Bei den beruflich Qualifizierten mit technischer Ausrichtung und hoher Qualifikation verschärft sich der Engpass besonders: 2035 wird der relative Engpass hier bei 32,6 Prozent liegen, das entspricht 32.900 fehlenden Fachkräften (Vergleich 2021: 9,2 Prozent oder 9.800 Fachkräfte). 
 
Bei akademisch Qualifizierten bestätigt sich ebenso wie bei den beruflich Qualifizierten der Trend zur Höherqualifizierung bzw. „Upskilling“ weiter: Anders als bei der Gesamtzahl der beruflich Qualifizierten steigt die Nachfrage hier dem Szenario zufolge bis 2035 weiter an. Bei Akademikern und Akademikerinnen wird der relative Engpass (32,3 Prozent) – das Verhältnis der fehlenden Fachkräfte zur grundsätzlichen Nachfrage – höher liegen als bei den beruflich Qualifizierten. Das Rennen um Young Professionals mit Uniabschluss wird demzufolge für Unternehmen besonders kritisch werden. In 2035 fehlen laut Prognose 63.000 Akademiker und Akademikerinnen.
Insgesamt werden für das Jahr 2035 in Berlin 377.000 fehlende Fachkräfte prognostiziert. 

Berufe mit höchstem Fachkräftemangel in 2035

Neben Personal für Büroberufe, Erziehungsberufe und Tätigkeiten mit akademischer Ausbildung im Bereich der Unternehmensführung, wird es für Unternehmen auch schwieriger werden Personal im MINT-Bereich zu finden:
Berufsgruppen – TOP 10 absolut, in 2035
absoluter Engpass
(relativer Engpass)
Büro- und Sekretariatsberufe, mittlere Qualifikation
z.B. Kauffrau/-mann Bürokommunikation
42.700
37,5
Erziehung, soziale und hauswirtschaftliche Berufe, Theologie, mittlere Qualifikation
z.B. Erziehungspfleger/in, Sozialassistent/in
31.800
45,0
Unternehmensführung, akademische Qualifikation
z.B. Unternehmensberater/in, Volkswirt/in, MBA, Betriebswirt (Hochschule)
30.300
42,8
Berufe in der Unternehmensorganisation und im Personalwesen, mittlere Qualifikation
z.B. Fachkraft Personalwirtschaft
23.400
38,9
Verkaufsberufe, mittlere Qualifikation
z.B. Kaufmann/-frau im Einzelhandel
16.400
20,5
Schutz-, Sicherheits- und Überwachungsberufe, mittlere Qualifikation
z.B. Verkehrsüberwacher/in, Servicekraft Schutz z. Sicherheit
15.500
44,9
Berufe in Recht und Verwaltung, mittlere Qualifikation
z.B. Rechtsanwaltsfachangestellte/r, Sozialversicherungsfachangestellte/r
14.400
34,2
Technische Forschungs-, Entwicklungs-, Konstruktions- und Produktionssteuerungsberufe, hohe Qualifikation
z.B. Fertigungstechniker/in, Industriemeister/in
11.630
59,6
Medizinische Gesundheitsberufe, mittlere Qualifikation
z.B. medizinisch-techn. Assistent/in
10.600
15,1
Berufe in der Unternehmensorganisation und im Personalwesen, hohe Qualifikation
z.B. Personaler/in, Teamleiter/in
10.200
38,1

Bei den folgenden Berufsgruppen wird der relative Engpass, d.h. die Fachkräftelücke im Verhältnis zur gesamten Nachfrage aus der Wirtschaft, nach unserem Szenario besonders hoch sein. Für diese Tätigkeiten entsprechendes Personal zu finden, wird für Unternehmen also besonders schwer werden.
Berufsgruppen - TOP 10 relativ, in 2035
relativer Engpass
absoluter Engpass
Technische Forschungs-, Entwicklungs-, Konstruktions- und Produktionssteuerungsberufe, hohe Qualifikation
z.B. Fertigungstechniker/in, Industriemeister/in
59,6
11.630
Rohstoffgewinnung und -aufbereitung, Glas- und Keramikherstellung und -verarbeitung, hohe Qualifikation
z.B. Glastechniker/in, Techniker/in Baustofftechnologie, Techniker/in Feinoptik
58,0
1.770
Bauplanungs-, Architektur- und Vermessungsberufe, mittlere Qualifikation
z.B. bautechn. Assistent/in, Vermessungstechniker/in
57,8
3.850
Maschinenbau- und Betriebstechnik, hohe Qualifikation
z.B. Maschinenbaumeister/in, Aufzugtechniker/in, leitende/r Monteur/in
48,1
2.330
Erziehung, soziale und hauswirtschaftliche Berufe, Theologie, mittel
z.B. Erziehungspfleger/in, Sozialassistent/in
45,0
31.800
Schutz-, Sicherheits- und Überwachungsberufe, mittlere Qualifikation
z.B. Verkehrsüberwacher/in, Servicekraft Schutz z. Sicherheit
44,9
15.500
Lehrende und ausbildende Berufe, hohe Qualifikation
z.B. Fachlehrer/in, Ausbilder/in
43,9
4.960
Bauplanungs-, Architektur- und Vermessungsberufe, hohe Qualifikation
z.B. Baumeister/in, Bautechniker/in, Baufachwirt/in, Katastertechniker/in
43,5
2.820
Sprach-, Literatur-, Geistes-, Gesellschaftswissenschaftler, akad. Qualifikation
z.B. Computerlinguist/in, Politologe/Politologin, Ökonom/in
42,9
9.300
Erziehung, soziale und hauswirtschaftliche Berufe, Theologie, hohe Qualifikation
z.B. Kitaleiter/in, Sonderpädagoge/Sonderpädagogin (Fachschule)
42,8
6.120

Was Unternehmen jetzt schon tun können

Unternehmen sollten schon jetzt für die Zukunft prüfen, ob und wie Prozesse und Abläufe mit weniger Personal durchführbar sind oder durch technologische Lösungen ergänzt werden können. Damit Unternehmen bei der Ausbildung eigener Fachkräfte in Zukunft unterstützt werden, muss die Vermittlung in Ausbildung durch Coaching verstärkt, Berufsorientierung auch an Gymnasien sichergestellt sowie die Durchlässigkeit von beruflicher und akademischer Bildung gleichwertig gestaltet sein.
Als Arbeitgeber attraktiv zu sein, wird künftig wichtiger denn je werden. Die Flexibilisierung von Arbeitszeit und -ort sowie andere Benefits für Beschäftigte werden in vielen Fällen zum Standard werden und an Alleinstellungsmerkmalen verlieren. Arbeitgeber müssen sich daher stärker als Marke etablieren und eine Kultur, auch des Zusammengehörigkeitsgefühls, im Unternehmen schaffen. Die kann zum Beispiel auf ethischen oder ökologischen Grundwerten basieren, mit denen sich Beschäftigte besonders stark identifizieren können.

Handlungsbedarf für die Politik

Auch die Politik wird nicht umherkommen, Lösungen zu finden. Hier muss es darum gehen, wie ältere Personen länger in Beschäftigung gehalten werden können, die Arbeitsmigration nach Deutschland gesteigert werden kann und man ausländische Hochschulabsolventen zum Bleiben motiviert. Hier eine Kurzübersicht der IHK-Handlungsvorschläge:
  • Standortattraktivität sichern: gutes Wohn- und Arbeitsumfeld.
  • Berufsorientierung und Vermittlung in Ausbildung stärken, Durchlässigkeit von akademischer und beruflicher Bildung erhöhen, Weiterentwicklung bestehender Förderungen (z. B. Aufstiegs-BAföG, betriebl. Einzelumschulungen).
  • Arbeitslosigkeit vermeiden, Übergänge schaffen: Kurzfristig Rahmenbedingungen zur Schaffung neuer Jobs verbessern, um Corona-Effekt abzumildern.
  • Langfristige (Fachkräfte-)Strategie für den Arbeitsmarkt der Metropolregion Berlin-Brandenburg einführen.
  • „Kultur des Lernens“ etablieren: Mehr strukturelle Förderung von Fort- u. Weiterbildung.
  • Wissenstransfer zwischen Forschungseinrichtungen und Wirtschaft stärken, damit Fachkräfteangebot durch technologische Lösungen ergänzt werden kann.
  • Digitalisierungsrelevante Infrastrukturen ausbauen und den Ausbau technologischer Lösungen forcieren, um gerade Personal bei schweren Tätigkeiten zu entlasten.
  • Langfristig anhaltenden, positiven Zuwanderungssaldo durch Stärkung der Willkommenskultur, positives Narrativ von Erwerbsmigration sowie schnellere und unbürokratische Prozesse erreichen.
Der seit 2012 jährlich aktualisierte IHK-Fachkräftemonitor ist eine interaktive Webanwendung, die einen Blick auf die Entwicklung des Berliner Arbeitsmarktes in Bezug auf Fachkräfteangebot, - nachfrage, Branchen, Berufsgruppen und Qualifikationen für das Land Berlin ermöglicht.