BW 05/2021 – Fachkräfte

Die Schere öffnet sich

Krisenbedingt ist die Suche nach Fachkräften für viele Unternehmen zuletzt in den Hintergrund gerückt. Die aktuelle Prognose des IHK-Fachkräftemonitors für Berlin zeigt aber, dass es für Unternehmen in Zukunft noch schwieriger werden wird, Personal zu finden. 377.000 Fachkräfte werden nach aktuellen Berechnungen voraussichtlich im Jahr 2035 fehlen. Damit wäre der Fachkräfteengpass – die Lücke zwischen Nachfrage und Angebot – mehr als siebenmal höher als 2021. Das liegt vor allem daran, dass das Angebot in der nächsten Dekade deutlich sinken wird. 2035 werden dem Berliner Arbeitsmarkt demnach 423.000 Fachkräfte weniger zur Verfügung stehen als heute, denn insbesondere ab Mitte der Zwanzigerjahre werden viele Babyboomer in Rente gehen.
423.000 weniger Fachkräfte als heute werden nach aktuellen Berechnungen im Jahr 2035 in Berlin zur Verfügung stehen.
Erstmals lässt sich auch ein Corona-Effekt in Bezug auf das Angebot und die Nachfrage nach Fachkräften ermitteln. Der Anstieg der Arbeitslosen sowie der Rückgang bei den Erwerbstätigen bewirken zwar eine Umverteilung, allerdings keine direkte Beeinträchtigung des Fachkräfteangebots. Der Engpass hat sich vor allem in den krisenbetroffenen Branchen deutlich verringert: So zeigt sich im Gastgewerbe, Handel und in der Industrie bis 2022 eine geringere Lücke, als bisher angenommen, was sich maßgeblich aus der gesunkenen Personalnachfrage erklären lässt. Ab Mitte des Jahrzehnts werden dann laut Prognose entsprechende Erholungseffekte greifen. Zusätzlich gestiegen ist der Fachkräfteengpass demgegenüber bei den öffentlichen Dienstleistern und im Gesundheitswesen. Zusammen in beiden Branchen fehlen aktuell 42.000 Fachkräfte.
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Bei den beruflich Qualifizierten wird sich die Fachkräfteproblematik gravierend verschärfen. Zwischen 2027 und 2033 verdoppelt sich der Engpass auf 264.000, ehe er im Jahr 2035 die Höchstmarke von 314.000 fehlenden Fachkräften erreicht. Bei den Akademikern bestätigt sich der Upskilling-Trend: Die Nachfrage steigt hier dem Szenario zufolge bis 2035, während der sehr hohe Engpass bei beruflich Qualifizierten sich durch das stärker sinkende Angebot erklärt. Bei Akademikern wird der relative Engpass – das Verhältnis der fehlenden Fachkräfte zur grundsätzlichen Nachfrage – höher liegen. Das Rennen um Young Professionals mit Hochschulabschluss wird besonders kritisch werden. Neben Personal für Büroberufe, Erziehungsberufe und Tätigkeiten mit akademischer Ausbildung im Bereich der Unternehmensführung, wird es für Unternehmen noch schwieriger werden, Personal im MINT-Bereich zu finden.
Arbeitsmarkt-Prognose Der IHK-Fachkräftemonitor berechnet unter Berücksichtigung von IHK-Konjunkturdaten, Wirtschaftsprognosen, Arbeitsmarkt-, Bevölkerungs- und Migrationsdaten die künftige Fachkräftesituation ausgehend vom Status quo. Technologische Effekte können dabei nur teilweise einbezogen werden. Gesetzliche Änderungen (z. B. Erhöhung des Rentenalters) oder unvorhersehbare externe Effekte (z. B. Wirtschaftskrisen, Migrationsbewegungen) können nicht berücksichtigt werden.
Weitere Informationen fachkraeftemonitor-berlin.de
Unternehmen sollten schon jetzt für die Zukunft prüfen, ob und wie Prozesse und Abläufe mit weniger Personal durchführbar sind oder durch technologische Lösungen ergänzt werden können. Damit Unternehmen bei der Ausbildung eigener Fachkräfte unterstützt werden, muss die Vermittlung in Ausbildung durch Coaching verstärkt, Berufsorientierung auch an Gymnasien sichergestellt sowie die Durchlässigkeit von beruflicher und akademischer Bildung gleichwertig gestaltet sein. Daneben müssen sich Arbeitgeber stärker als Marke etablieren und eine Kultur, auch des Zusammengehörigkeitsgefühls, im Unternehmen schaffen. Die kann zum Beispiel auf ethischen oder ökologischen Grundwerten basieren.
Um den Fachkräftemangel zu meistern, muss aber an erster Stelle die Politik Lösungen finden. Hier muss es zunächst darum gehen, wie ältere Personen länger in Beschäftigung gehalten werden können, die Arbeitsmigration nach Deutschland erhöht werden kann und man internationale Absolventen zum Bleiben motiviert.
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von Julian Algner