BW 05/2021 – Branchen

Große Geschäfte mit kleinen Schnipseln

Einhundert Jahre, drei Generationen, ein Familienunternehmen – die Geschichte hinter der Bartscherer&Co. Recycling GmbH in stark verkürzter Form. Die Reinickendorfer sind spürbar stolz auf die konzernunabhängige Kontinuität, Fortsetzung ausdrücklich erwünscht. Dabei hat das, was heute auf den rund 44.000 Quadratmetern Betriebsgelände im Gewerbegebiet an der Montanstraße passiert, nur wenig mit den Ursprüngen von 1921 gemein.
Die Kaufleute Erich Bartscherer, bis heute Namenspate, und Walter Lange gründeten die Firma als Altpapierhandel an der Sylter Straße in Wedding. Auch nach einem Umzug an die Koloniestraße war der Rahmen weiter bescheiden: ein Hofareal und eine Handvoll Mitarbeiter. Die Chefs hießen längst beide Lange, zum Gründer war Bruder Willi dazugestoßen. Walters Sohn Joachim, studierter Maschinenbauer und zunächst beruflich anderswo und anderweitig engagiert, kam Anfang der 1970er-Jahre nach und nach als zweite Generation in den Betrieb. Und startete schließlich durch, bis zu den jetzigen Dimensionen. Geblieben sind der Name Bartscherer und der Werkstoff, mit dem damals wie heute am meisten hantiert wird: Altpapier.

In großen Sammelbehältern landet es in den Hallen an, wird in Sortieranlagen geschaufelt und mit riesigen Ballenpressen unter hohem Druck und ebensolchem Energieeinsatz zu tonnenschweren, drahtverschnürten Paketen geformt. Leistungsstarke Gabelstapler flitzen mit dem begehrten Stoff zwischen Lkws und großen Frontladern umher. An den rasant-routinierten Abläufen zeigt sich, dass der Löwenanteil der 200 Beschäftigten langjährig im Unternehmen tätig ist. Für den reibungslosen Betrieb müssen die durch Fasern und Staub schwer beanspruchten Maschinen und Fahrzeuge funktionieren. Dafür steht vor allem Markus Lange als Vertreter der dritten Generation ein. Sein jüngerer Bruder Martin ist der Kaufmann und EDV-Spezialist. Vater Joachim hat die Geschäftsführung weitestgehend in die Hände der beiden Nachfolger gelegt. „Sie verstehen und ergänzen sich gut“, freut sich der gut 80-jährige Seniorchef, der die Geschicke des Entsorgungs- und Recyclingbetriebs gleichwohl weiter aufmerksam verfolgt.
Der hoch spezialisierte Fuhrpark aus etwa 80 Fahrzeugen wird in der eigenen Werkstatt betreut und laufend erneuert. „Wir sind ein reines Familienunternehmen – und sehr technikorientiert“, erklärt Joachim Lange. Lkws mit Abbiegeassistenten oder Rundum-Kameraüberwachung gehören zum Standard.
75.000 Sammelbehälter mit dem Namen Bartscherer stehen in Berlin, bei Privat- und Gewerbekunden. Ein Teil der Belegschaft, zu der stets um die zehn Auszubildende gehören, arbeitet extern, als Dienstleister bei Großkunden. Maßgeschneiderte Lösungen für jeden Einsatzzweck, das haben sich die Langes auf die Fahnen geschrieben. Und damit können sie auch gegen größere Mitbewerber bestehen.
Veränderungen gibt es nicht nur bei den technischen Innovationen. Auch das Sammelgut ist im Wandel begriffen. Landeten früher 70 Prozent Papier, meist Zeitungen und Zeitschriften, in den Tonnen, ist der Anteil heute auf 30 Prozent geschrumpft. Genau umgekehrt verhält es sich mit Kartonverpackungen. Es wird weniger Gedrucktes gelesen – aber viel online bestellt. Papier, weiß, gilt als höherwertig im Wertstoff-Kreislauf. Aus alten Kartons kann man weniger recyceln. Die braunen Ballen aber nehmen zu.
Bis zu 1,7 Tonnen wiegt so ein Würfel gepresstes Altpapier. Ist es ein weißer Ballen, wird er an Papierfabriken in ganz Deutschland, aber auch in europäischen Nachbarländern verkauft. Neben der Entsorgung und Verarbeitung von Altpapier und anderen Abfällen und Wertstoffen ist der Rohstoffhandel ein weiteres Standbein von Bartscherer. Bis zu 250.000 Tonnen werden jährlich im Unternehmen verarbeitet. Gerade ist eine neue Staubfilteranlage installiert worden. Bald stehen Um- und Neubauten am zu niedrigen Hallenkomplex an. Die nächste Generation Langes wächst auch schon heran. Die Familiengeschichte soll weitergeschrieben werden.
von Oliver de Weert