Fokus
Vertrauenssache - Unternehmensnachfolge
Wer heute ein Unternehmen übergeben oder übernehmen möchte, braucht gute Nerven. Die deutsche Wirtschaft steckt in der größten Krise der Nachkriegsgeschichte. Laut Prognosen dürfte sie auch in diesem Jahr schrumpfen, das wäre das dritte Jahr in Folge. Für Sebastian Stietzel, Präsident der IHK Berlin, steht die Berliner Wirtschaft vor enormen Herausforderungen. „Für rund 8.500 Berliner Unternehmen steht Schätzungen zufolge in den nächsten Jahren die Unternehmensübergabe an. Rund 60 Prozent von ihnen sind in diesem Zusammenhang auf externe Lösungen angewiesen. Dabei stehen in vielen Fällen nicht nur ganze Lebenswerke, sondern auch Arbeitsplätze und Know-how auf dem Spiel.“
Die Unternehmensnachfolge sei daher ein entscheidender Faktor zur Sicherung von Arbeitsplätzen, Innovation und Wirtschaftskraft am Standort – sie verbinde die Erfolgsgeschichten von gestern mit den Chancen von morgen, so Stietzel. Wie abgabebereite Unternehmer und potenzielle Nachfolger erfolgreich zusammenkommen und welche Plattformen sie mit innovativen Ideen bei der Suche unterstützen, berichten Experten und Unternehmer.
Neue Plattform für Verkäufer und Käufer
Zu den neuen Services der IHK Berlin gehört die Nachfolgezentrale Berlin, die im September 2024 online ging. Bei der von der IHK Berlin, der Handwerkskammer Berlin und der Bürgschaftsbank Berlin getragenen Nachfolgezentrale, die die Senatswirtschaftsverwaltung mit einer Anschubfinanzierung von 600.000 Euro fördert, geben die Verkäufer in einem ersten Schritt nur einige Basisinformationen wie Umsatz, Rechtsform, Zahl der Mitarbeitenden oder Branche an. Danach nimmt die Nachfolgezentrale persönlich Kontakt auf, klärt Details, konkretisiert das Qualifikationsprofil potenzieller Nachfolger, etwa formale Anforderungen wie Meistertitel. Unterstützt von einem Matching-Algorithmus, identifiziert die Nachfolgezentrale auf der Plattform potenzielle Käufer und stellt beide Seiten anonymisiert einander vor. Signalisieren die Parteien Interesse, unterzeichnen sie eine Vertraulichkeitsvereinbarung, erst dann werden die Kontaktdaten für ein persönliches Kennenlernen ausgetauscht. Bei Bedarf unterstützt die Nachfolgezentrale auch mit Kontakten zu Experten aus ihrem Netzwerk. Der Service ist kostenfrei.
Für die Vizepräsidentin der IHK Berlin, Nicole Korset-Ristic, sind Angebote wie die Nachfolgezentrale Berlin ein wichtiger Baustein bei den Serviceangeboten der IHK. „Mitte vergangenen Jahres ist die Berliner Nachfolgezentrale an den Start gegangen. Der große Bedarf wird spätestens durch den Umstand deutlich, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem Bearbeiten der eingereichten Unterlagen kaum hinterherkommen. Wir als IHK Berlin unterstützen die Nachfolgezentrale – auch finanziell –, sowie jetzt ebenfalls mit Personal und Kommunikationsmaßnahmen. Denn ihr Erfolg ist von herausragender Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit der Berliner Wirtschaft“, so Korset-Ristic.
„Für den Mittelstand gehört das Thema Nachfolge neben Fachkräftemangel und Energiekosten zu den wichtigsten“, sagt Christian Schuchardt. Aufgrund des demografischen Wandels werde der Pool möglicher Käufer immer kleiner. Mit dem Start des jüngsten Projekts ist der Senior Referent Unternehmensnachfolge bei der Nachfolgezentrale Berlin dennoch zufrieden und für die Zukunft optimistisch. Die Nachfolgezentrale Berlin bietet nach dem Vorbild Mecklenburg-Vorpommerns Verkäufern und Käufern zunächst anonym die Chance, sich auf ihrem Portal kennenzulernen, bevor der Vorhang fällt und beide Seiten ihre Identität preisgeben. Für Schuchardt hat das einen entscheidenden Vorteil: „Die Vertraulichkeit ist für Senior-Unternehmer ein ganz wichtiger Aspekt. Man möchte vor Wettbewerbern, Mitarbeitenden, Lieferanten und Kunden die Übergabe so lange wie möglich geheim halten, um nicht Unruhe zu schüren und gegebenenfalls den Kaufpreis zu drücken, wenn sich der Prozess hinzieht.“
Anfang Februar 2025 lagen rund 670 Registrierungen vor, darunter etwa 480 Nachfolgende (84 Prozent Männer und 16 Prozent Frauen) und rund 190 Übergebende. „Anders als sonst üblich haben wir trotz der demografischen Entwicklung einen deutlich höheren Anteil an Übernahmewilligen“, so Schuchardt, der dies vor allem mit Blick auf die Wirtschaftskrise als ermutigendes Zeichen wertet. Rund 50 potenzielle Matches würden aktuell verhandelt. Knapp die Hälfte der Unternehmen kommt aus dem Dienstleistungssektor, circa 25 Prozent stammen aus dem Handwerk, 18 Prozent aus dem Handel. Der Rest entfällt unter anderem auf das produzierende Gewerbe – von Kleinstunternehmen bis zu solchen mit zweistelligen Millionenumsätzen ist alles vertreten.
Selten zu früh, häufig zu spät eingeläutet
Neben der Nachfolgezentrale unterstützt die IHK Berlin ihre Mitglieder mit zahlreichen weiteren Services beim Nachfolgeprozess, unter anderem veröffentlicht sie auf ihrer Website eine Broschüre, die eine erste Orientierung gibt. Von den ersten Planspielen bis zur tatsächlichen Übergabe sollte ein Zeitrahmen von fünf Jahren angesetzt werden, so die IHK-Experten. Selten werde der Nachfolgeprozess zu früh, häufig aber zu spät eingeläutet. Auf der Website nachfolge- in-deutschland.de finden Interessierte unter anderem Tools wie einen Nachfolg-O-Mat für Einsteiger, das Onlinelexikon Nachfolge Wiki, das interaktive Nachfolge Labor und das Analyse-Tool KMU-Rechner für die Wertermittlung eines Unternehmens. Die Website listet zudem eine lange Liste mit Börsen zur Unternehmensnachfolge auf.
Wie Unternehmer einen realistischen Wert ihres Unternehmens ermitteln, weiß Stefan Butz, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Unternehmensbewertungen und Experte für Unternehmensnachfolgen. Diese Frage stehe immer am Anfang des Prozesses, sagt der Geschäftsführer der Butz Consult GmbH. Daraus würden die nächsten Schritte abgeleitet. „Diese Einschätzung wird immer wichtiger, weil es immer weniger potenzielle Nachfolger gibt. Deshalb muss man gut begründen können, warum ein Unternehmen so viel wert ist.“ Eine ausführliche Analyse sei deshalb unerlässlich. Butz hat dafür auch das digitale Tool kmu-value.de entwickelt, mit dem Verkäufer kostenlos eine erste überschlägige Wertindikation ermitteln können.
Wert ist allerdings nicht gleich Preis, so die Maßgabe des Experten. Eher selten werde der Wert übertroffen. Trotz der Krise würden aber im KMU-Segment immer noch gute Preise erzielt. Das Hauptproblem sei aktuell der Mangel an Nachfolgern. Sein Tipp: „Wenn man in dem Alter ist, lieber jetzt handeln trotz Krise, als das Thema aufzuschieben.“ Und es sei ganz wichtig, dass der Unternehmensinhaber sich die Zeit nehme, um das Unternehmen so attraktiv wie möglich für den Verkauf positionieren zu können, und dann auch wirklich loslassen wolle. Last but not least: Der Prozess sollte sehr diskret gemanagt werden, um Mitarbeitende und etwa Kunden nicht frühzeitig zu verunsichern.
Soll der Prozess gelingen, empfiehlt Schuchardt von der Nachfolgezentrale Berlin erstens eine gute Vorbereitung. „Der Betrieb muss übergabefähig, übergabewürdig und übergabereif sein.“ Auf der Käuferseite hilft es, wenn die Kandidaten einen gewissen Fokus bei der Suche haben. Zweitens sind Flexibilität und drittens Kontinuität gefragt. „Man muss gemeinsam eine Vision entwickeln können und vor allem dranbleiben.“