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Ich öffne Ihnen die Schulen

Kommt sie, oder kommt sie nicht? Diese Frage bewegte die Unternehmerinnen und Unternehmer beim Wirtschaftspolitischen Frühstück der IHK Berlin mit ­Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch Mitte Januar.
Die Ungewissheit bezog sich jedoch nicht auf das Erscheinen der Politikerin, die sich pünktlich dem Publikum stellte, sondern ­vielmehr auf die vom schwarz-roten Senat angekündigte Ausbildungsplatzumlage. Sollten bis zum 30. April dieses Jahres nicht mindestens 2.000 zusätzliche betriebliche Ausbildungsstellen geschaffen werden, drohen den Betrieben Zwangsabgaben. Allerdings wird dieses von der Wirtschaft unisono abgelehnte Druckmittel selbst in der Landesregierung kritisch betrachtet, so auch von der Bildungssenatorin. Diese Umlage „hilft keinem jungen Menschen“, räumte sie bei ihrem Auftritt vor rund 250 Gästen im Ludwig Erhard Haus ein. Sie setze vielmehr auf ein größeres Engagement der Unternehmen, insbesondere auch beim Thema Berufsorientierung.

Alarmierend schlechte Grundkenntnisse

Dass dieses Thema durchaus mehrere Facetten hat und die Ursachen für Tausende freier Lehrstellen bei zugleich Tausenden Ausbildungsplatzsuchenden vielschichtig sind, wurde bei den Ausführungen der Senatorin deutlich. Ihren Angaben zufolge erfüllen in der 8. Klasse 70 Prozent der Jugendlichen die Mindeststandards in Mathematik nicht, bei den Kompetenzen Lesen und Rechtschreibung werden die Mindeststandards zu 60 Prozent nicht erreicht. Zehn Prozent aller Jugendlichen verlassen die 10. Klasse – sofern sie diese überhaupt schaffen – ohne Abschluss oder berufliche Orientierung. Von den Ausbildungsverträgen werden im Jahresschnitt 35 Prozent aufgelöst, und die Hochschulen melden eine Abbrecherquote von 35 Prozent im Erststudium, wobei es beim Zweitstudium ähnlich aussieht.
Zugleich finden laut einer IHK-Umfrage 40 Prozent der ausbildungswilligen Unternehmen keine passenden Bewerber. Dieses Lagebild ist seit Jahren prinzipiell unverändert. Dass sich angesichts der wirtschaftlichen Lage daran etwas ändern muss, darin sind sich Politik und Wirtschaft einig. Aber wie soll das gelingen?
Für Günther-Wünsch hat ein Veränderungsprozess bereits begonnen. „Ich öffne Ihnen die Schulen“, betonte sie. Es gebe künftig verbindliche Praktika in den Klassen 9 und 10, das Fach Wirtschaft-Arbeit-Technik (WAT) werde ausgebaut, und ab 2025/2026 sei das 11. Pflichtschuljahr für jene vorgesehen, die keinen Ausbildungsplatz oder andere schulische Perspektiven haben. In diesem Zusammenhang dankte die Politikerin der IHK Berlin für entsprechende Unterstützung, richtete aber zugleich einen Appell an die Wirtschaft: „Wir brauchen Betriebe, die die jungen Menschen aufnehmen.“ Angesichts des Mangels an Fach- und Arbeitskräften „dürfen wir keinen Einzigen zurücklassen“, betonte sie. Die Berufsorientierung spiele dabei eine große Rolle. „Derzeit entlassen wir Schüler, die nicht ausreichend beruflich orientiert sind“, resümierte ­Günther-Wünsch. Hier brauche es ein System der festen Kooperation zwischen Schule und Wirtschaft.

Gesellschaftliches Umdenken erforderlich

Dass eine bessere Bildung und Vorbereitung auf die Berufswelt nicht mittels nur einiger Maßnahmen, sondern nur mit gesellschaftlichem Umdenken erreicht werden kann, wurde während der Gesprächsrunde mehr als deutlich. Ein Beispiel: In Berlin streben nach der Grundschule 52 Prozent der Schülerinnen und Schüler auf ein Gymnasium. Allerdings kehren davon 30 Prozent wieder an andere Schulen zurück, weil sie den höheren schulischen Anforderungen nicht genügen. Für Günther-Wünsch ist das nicht verwunderlich, weil es in der Gesellschaft die weitverbreitete Auffassung gebe, nur wer ein Abi mache, der werde etwas. Allerdings, in den anderen Bundesländern gibt es von vornherein strengere Maßstäbe für den Besuch eines Gymnasiums, denn dort steht nur für 20 bis 25 Prozent der ­Schülerschaft dieser Schulweg offen. Der Vorteil ist, dass pädagogische Kräfte und Mittel effizienter eingesetzt und die Jugendlichen besser auf eine berufliche Karriere vorbereitet werden können.

Digitalpakt 2.0 für die Schulen

Angesprochen auf die Digitalisierung der Schulen, sagte Günther-Wünsch, im nächsten Jahr sei für alle Berliner Schulen schnelles Internet verfügbar. Die vom Bund bereitgestellten Mittel, auch für Computer und Tablets, würden ausgeschöpft. Allerdings stelle der Support ein großes Problem dar. Zwar laufe die Qualifizierung des pädagogischen Personals, aber es brauche auch externe Partner. Die dafür benötigten finanziellen Mittel könnten aus dem Landeshaushalt nicht zur Verfügung gestellt werden. Dazu brauche es einen Digitalpakt 2.0, sagte die Senatorin in Richtung Bundespolitik. Sie hoffe, dass es nach der ­Bundestagswahl dazu klare Signale gebe.

von Holger Lunau