Fokus

Die Stadt lebt

Innovative Ideen und das Zusammenspiel vieler Akteure bringen frischen Wind in Einkaufsstraßen. Die IHK ist dabei: mit der Initiative „Mittendrin Berlin!“ und den Business Improvement Districts.
Wer sich über die Stimmung im stationären Einzelhandel in Berlin einen Überblick verschaffen möchte, kann sich mithilfe ganz unterschiedlicher Instrumente über die Lage informieren. Eine Möglichkeit ist die Messung der Besucherzahlen in den wichtigsten Geschäftsstraßen. Dieser Indikator ist für das gerade zu Ende gegangene Jahr positiv. „2024 waren die Berliner Einkaufslagen, an denen wir die Passantenfrequenzen messen, durchschnittlich drei Prozent voller als im Vorjahr“, weiß Julian Aengenvoort, Geschäftsführer von Hystreet.com. Das Unternehmen erfasst die Besucherströme in Haupteinkaufsstraßen automatisiert mit eigenen Laserscannern an rund 320 Standorten in Europa. In Berlin sind es mehr als zehn Standorte.
„Insgesamt ist das für die deutsche Hauptstadt eine sehr erfreuliche Entwicklung und zeigt auch die Resilienz der Menschen gegenüber der gesamtwirtschaftlich schwierigen Situation“, so Aengenvoort. Die belebteste Einkaufslage in der Stadt ist laut den Zahlen von Hystreet.com die Tauentzienstraße. „Die Beliebtheit basiert – soweit wir das abschätzen können – auf verschiedenen Faktoren, unter anderem der zentralen Lage, den attraktiven Einzelhandelsangeboten wie KaDeWe und Europa Center sowie touristischen Highlights wie der Gedächtniskirche.“
Gerade Shopping-Events wie verkaufsoffene Sonntage, Stadtevents oder zuletzt der Black Friday locken nachweislich mehr Menschen in die Geschäftsstraßen, mit Steigerungen der Besucherzahlen von bis zu 40 Prozent. Sie eröffnen dem stationären Einzelhandel nach Einschätzung des Hystreet.com-Geschäftsführers ein enormes Potenzial, um höhere Umsätze zu erzielen. Eine wichtige Rolle für die ­Attraktivität der vielen Berliner Zentren nehmen außerdem die abwechslungsreichen Kunst- und Kulturangebote der Hauptstadt ein. Sie tragen maßgeblich zur Belebung und Aufwertung des öffentlichen Raums bei und schaffen zusätzliche Anziehungspunkte für den Besuch von Quartieren.
Auch für den Handel selbst gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten, Einkaufsstraßen lebendiger und attraktiver zu gestalten. Darauf weist ­Theresa Schleicher in ihrer „Zukunftsstudie Handel 2025“ hin. Besonderes Augenmerk legt die Handels-Zukunftsforscherin dabei auf aktuelle Trends und die Innovationskraft im chinesischen Einzelhandel. „In den großen Städten Chinas sind besonders die Einkaufsstraßen und die stationären Geschäfte sehr stark durch Erlebnisse und Design geprägt, nur wenige Läden gleichen einander“, sagt ­die Expertin. „Im Fokus steht oft die auffällige Inszenierung, besonders spielerisch ist man diesbezüglich etwa in der Außenarchitektur.“
So lassen zum Beispiel Luxusanbieter die Außenfassade wie eine Handtasche aussehen, wenn sie solche Produkte auch im Geschäft verkaufen. Dieser Aufwand wird betrieben, um Spaß am Flanieren und letztendlich auch den Konsum zu fördern. „In Berlin funktioniert das nicht immer, denn natürlich haben wir bauliche Vorgaben und auch denkmalgeschützte Gebäude, aber einige Impulse wie der spielerische Ansatz lassen sich sinnvoll übertragen“, ist sich die Handels-Zukunftsforscherin sicher.
Darüber hinaus fordert Theresa Schleicher für die Hauptstadt insgesamt mehr Kreativität auf kleiner Fläche statt großer, sehr theoretisch konzipierter Konzepte, in denen bis heute die Berliner Bevölkerung selten spannende, alltagsrelevante Inspiration findet. Flankierend dazu könnten in Zukunft auch innovative Dienstleistungen die Anziehungskraft des stationären Einzelhandels fördern. Mit neuen Technologien lässt sich zum Beispiel exakter bestimmen, was Kunden in bestimmten Kiezen gerne nachfragen. Oder gekaufte Produkte könnten günstig und schnell direkt nach Hause geliefert werden. In Städten wie Schanghai gehören solche Angebote längst zum Alltag im Einzelhandel.

Initiative als passgenaues Instrument

Grundsätzlich ist mehr denn je das Zusammenspiel ganz unterschiedlicher Akteure gefragt, um neue Ideen und Konzepte in Quartieren und Geschäftsstraßen in die Tat umzusetzen und gleichzeitig den aktuellen Herausforderungen des Einzelhandels wie etwa der Schließung vieler kleiner inhabergeführter Geschäfte oder der wachsenden Dominanz des Onlinehandels die Stirn zu bieten. Zur Unterstützung dieses Zusammenspiels gibt es passgenaue Instrumente wie die Initiative „Mittendrin Berlin!“.
„Die Initiative zeigt seit zwei Jahrzehnten, wie durch die Zusammenarbeit von Wirtschaft, Verwaltung und privaten Akteuren attraktive und lebendige Standorte gefördert werden können“, freut sich Robert Rückel. „Sie bietet eine Plattform, um innovative Ideen für Einkaufsstraßen zu entwickeln und sowohl öffentliche als auch private Investitionen in den öffentlichen Raum anzustoßen“, fügt der Vizepräsident der IHK Berlin hinzu.
Dadurch entstehen neue Kooperationsstrukturen, die die Wettbewerbsfähigkeit der Standorte stärken und nachhaltige Lösungen für die aktuellen Herausforderungen bieten. „Auf diese Weise profitiert der stationäre Einzelhandel direkt von der gesteigerten Attraktivität und Lebendigkeit der prämierten Standorte, was zu einer höheren Kundenfrequenz und einem verbesserten Einkaufserlebnis führt“, weiß Robert Rückel. „Zudem werden durch die Initiative langfristig Netzwerke aufgebaut, die den Einzelhandel in seiner Funktion als zentraler Bestandteil vitaler Stadtzentren stärken.“
Am 30. Januar 2025 startet die neue Runde von „Mittendrin Berlin!“. „Diesmal geht es um Angebote für leer stehende Erdgeschossflächen und neue ,Dritte Orte‘, also Räume, die abseits von Wohn- und Arbeitsort zu Austausch und Begegnung einladen“, sagt Marco Mehlin. „Dabei bin ich ganz besonders gespannt auf die neuen Kooperationen, da sich der Wettbewerb 2025/26 auch gezielt an Akteure aus der Kunst- und Kreativwirtschaft richtet“, so der Geschäftsführer von Raumscript. Das interdisziplinäre Planungsbüro bildet seit 2005 die kommunikative Schnittstelle zwischen den Initiatoren und den Teilnehmenden des Projekts. Um Quartiere auch in Zukunft attraktiv zu halten, bleiben nach Überzeugung von Mehlin auf lange Sicht gerade Zwischennutzungen ein wichtiges und erfolgreiches Instrument der Stadt- und Zentrenentwicklung. „Kooperationen zwischen Unternehmen, Eigentümern, Bezirken sowie engagierten Anwohnern sind dabei ein Muss.“
In Zukunft wird sich neben Initiativen wie „Mittendrin Berlin!“ auch die im Dezember 2024 verabschiedete Novellierung des Berliner Gesetzes zur Einführung von Immobilien- und Standortgemeinschaften (BIG) zu einem wichtigen Instrument für die Verbesserung der Standortqualität entwickeln. Denn mit dem BIG wurde nicht nur die Grundlage für die Weiterführung des „BID Ku’damm-Tauentzien“ als Business Im­provement District (BID) beschlossen, sondern mit dem neuen Gesetz erwachsen auch neue Möglichkeiten, durch die Zusammenarbeit aller relevanten Akteure die Bildung neuer Standortgemeinschaften gezielt zu fördern.

IHK setzt auf Standortgemeinschaften

Die IHK Berlin begrüßt die Entscheidung des Abgeordnetenhauses. Sie hat sich bereits seit Jahren für das Gesetz eingesetzt. Nun wird sich die Kammer stark für die Umsetzung engagieren. So ist dank einer speziell geschaffenen Personalstelle bei der IHK Berlin schon jetzt ein „BID-Koordinator“ tätig, der die Industrie- und Handelskammer extern zum Thema BID vertritt. Er wird aktiv in die Geschäftsstraßen gehen und die Entwicklung der BID-Landschaft in der Hauptstadt mit dem Ziel vorantreiben, künftig möglichst viele BIDs zu initiieren.
Im Frühjahr plant die IHK Berlin zudem eine praxisnahe Auftaktveranstaltung, um die Wirtschaft mit dem Thema vertraut zu machen, die wichtigsten Akteure rund um BIDs zusammenzubringen und das eigene Engagement zu skizzieren. Der stationäre Einzelhandel Berlins kann sich also im Jahr 2025 auf viele neue Impulse freuen

von Jens Bartels