Interview
Die Neigung zu gründen ist hoch
Rund 300 Frauen mit Einwanderungsgeschichte berät die gemeinnützige UG Frauenalia pro Jahr – darunter auch viele Gründerinnen. Geschäftsführerin Begoña de la Marta bietet dafür auch einen Inkubator und einen Akzelerator an. Gerade Menschen mit Migrations- und Integrationserfahrungen bringen nach Ansicht der Unternehmensberaterin und Juristin gute Voraussetzungen für die Selbstständigkeit mit.
Begoña de la Marta berät und vernetzt Gründerinnen mit Einwanderungsgeschichte.
© Amin Akhtar
Berliner Wirtschaft: Warum unterstützen Sie Gründerinnen mit Migrationshintergrund?
Begoña de la Marta: Das beruht auf meinen eigenen Erfahrungen als Spanierin mit 15 Jahren Berufserfahrung in internationalen Anwaltskanzleien – unter anderem in Washington und Brüssel nebst Berlin. In Berlin bin ich Mutter geworden. In der Kombination Migrantin, Akademikerin und Mutter habe ich keine geeignete neue berufliche Herausforderung und zunächst auch kein Netzwerk gefunden, über das ich mich neu orientieren konnte. Deshalb wollte ich Frauenalia als Anlaufstelle und Netzwerk aufbauen, für Frauen mit Einwanderungsgeschichte, die sich beruflich neu orientieren wollen.
Was sind die Motive der Frauen, die sich an Sie wenden und gründen wollen?
Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt natürlich Frauen, die mit ihrem Studium und ihrer Berufserfahrung aus ihrem Herkunftsland nichts mehr anfangen können und sich deshalb aus einer Art Notlage heraus für die Existenzgründung entscheiden. Aber das ist der kleinere Teil. Bei den meisten entwickelt sich im Rahmen des Migrationsprozesses eine neue Identität und daraus der Wunsch, etwas Eigenes ins Leben zu rufen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist natürlich auch ein Motiv für die Selbstständigkeit.
Sie beraten auch Frauen, die in Angestelltenverhältnissen ihre Karriere fortsetzen wollen.
Richtig, unsere Arbeit liegt in der Begleitung von Frauen auf dem Weg zur beruflichen Weiterentwicklung. Bei Gründerinnen betrachten wir den Gründungsprozess als einen Veränderungsprozess, weil es immer mit der Veränderung der Identität einhergeht. Zunächst geht es oft darum, das Selbstvertrauen der Frauen wiederaufzubauen. Im Integrationsprozess haben viele das Vertrauen in sich verloren, weil sie denken, dass sie das, was sie früher konnten, jetzt nicht mehr können.
Sind Gründerinnen bei Ihnen eher die Ausnahme?
Absolut nicht. Es kommen viele Migrantinnen mit dem Wunsch der Selbstständigkeit zu uns. Es gibt generell eine hohe Neigung unter Migrantinnen zur Gründung einer eigenen Existenz. Laut Bertelsmann-Stiftung ist die Zahl der Gründerinnen mit Migrationshintergrund in Deutschland seit 2005 um 83 Prozent gestiegen. Keine andere Gruppe in der Existenzgründung wächst so dynamisch. Von den selbstständigen Frauen in Deutschland haben 25 Prozent eine Einwanderungsgeschichte. Ich weise stets darauf hin, dass schon der Migrationsprozess eine Gründung ist. Das ist eine Art Vorbereitung auf Firmengründungen.
Können Sie Ihren Beratungsansatz für Gründerinnen genauer beschreiben?
Wir kümmern uns sowohl um die Hardskills als auch um die Softskills – also die Persönlichkeitsentwicklung. Bei den Hardskills geht es zum Beispiel um die Entwicklung der Geschäftsidee oder des Businessplans. Das ist Teil unseres sechsmonatigen Inkubator-Programms. Wir halten auch darüber hinaus Kontakt zu den Gründerinnen und betreuen sie oft auch in der Nachgründungsphase. Für Frauen, die schon zwei Jahre am Markt sind und ihre Firmen in die Wachstumsphase bringen möchten, haben wir einen Akzelerator, der bei der Skalierung unterstützt. Viele schaffen das nicht aus eigener Kraft.
Was fehlt dann typischerweise?
Es sind in dieser Phase ganz andere Herausforderungen zu bewältigen. Ich sage immer: Während der Gründung ist man in der Phase des Verliebtseins. Nach zwei Jahren auf dem Markt hat man erlebt, wie hart das Geschäft sein kann. Gerade in dieser Zeit ist viel Selbstdisziplin erforderlich. Es werden neue Skills benötigt: Wie baue ich ein Team auf, und wie führe ich es? Konfliktmanagement wird wichtiger? Hinzu kommt, dass viele Frauen zunächst allein gründen. Ich schätze, dass 70 Prozent bei uns Solopreneure sind.
Zu zweit ist wachsen einfacher?
In der Wachstumsphase werden viele Einzelunternehmen zu Kapitalgesellschaften, und viele Gründerinnen wünschen sich eine zweite Gesellschafterin, die weitere Stärken einbringt. Wir helfen über unser Netzwerk bei der Suche.
Wie organisieren Sie Ihren Inkubator?
Wir bilden Gruppen mit maximal 15 Frauen und fördern das kollektive Wissen und die Kraft, die sich aus der Gruppe heraus bildet. Wir wollen, dass die Frauen sich auch nach dieser Zeit noch treffen und langfristig dieses Ökosystem pflegen. Zudem leisten wir sehr viel individuelle Arbeit. Wir sagen immer: Wir gründen mit den Frauen mit.
In welchen Branchen gründen die Migrantinnen in Ihrem Netzwerk vorwiegend?
Sehr oft sind es Dienstleistungen. Vielfach werden Ideen im Kreativbereich entwickelt, zum Beispiel in der Mode. Aber auch Im- und Exportgeschäfte sind keine Seltenheit. Und viele Geschäftsmodelle beschäftigen sich mit Nachhaltigkeit.
Ist Ihr Netzwerk auf Migrantinnen aus bestimmten Regionen oder Sprachräumen fokussiert?
Nein, überhaupt nicht. Wir haben Frauen aus Asien, Amerika, Afrika und Europa. Die meisten unserer Gründerinnen kommen aus Mexiko, gefolgt von Kolumbien, Frankreich und Polen.
Dass die meisten Gründerinnen in Ihrem Netzwerk Mexikanerinnen sind, überrascht.
Für Menschen aus Mexiko ist Deutschland nach den USA und Spanien das wichtigste Einwanderungsland. Die Selbstständigkeit hat einen hohen Stellenwert in der mexikanischen Kultur. Ohnehin ist das Unternehmertum in vielen anderen Ländern fest verankert. Sozial gut abgesicherte Festanstellungsverhältnisse sind nicht überall so verankert wie in Deutschland. Auch deshalb gilt für Migrantinnen: Die Neigung, zu gründen, ist hoch.
Haben migrantische Gründerinnen Ihrer Ansicht nach typische Stärken?
Typischerweise entwickeln Frauen im Integrationsprozess eine neue Identität. Dies geschieht, indem sie von der neuen Kultur Eigenschaften oder Werte übernehmen. Gleichzeitig trennen sie sich von Gewohnheiten oder Eigenschaften aus ihren Herkunftsländern. Es entsteht eine Mischung aus zwei oder mehreren Kulturen. Einige Frauen haben ja auch schon in mehreren Ländern gelebt. Ich denke, daraus resultieren Erfolgsfaktoren wie Resilienz, Anpassungsfähigkeit, Flexibilität und vor allem Interkulturalität. Gründerinnen aus dem produzierenden Gewerbe exportieren oft sehr erfolgreich.
Gibt es auch typische Schwächen?
Es gibt eine große Herausforderung, vor der Gründerinnen mit Einwanderungsgeschichte meist stehen: Wer in Deutschland aufgewachsen ist, hier studiert hat, verfügt über ein Netzwerk, in dem man sich austauschen kann. Das müssen sich Gründe-rinnen, die noch nicht so lange hier leben, erst mühsam erarbeiten. Die zweite große Herausforderung ist die Bürokratie, mit der Migrantinnen sich oft besonders schwertun. Kein perfektes Deutsch zu sprechen, kann auch ein Hindernis sein.
Ist Berlin in irgendeiner Hinsicht besonders für migrantische Gründerinnen?
Eindeutig ja. Berlin ist ein Paradies für migrantische Gründerinnen. In anderen Bundesländern ist es noch viel schwerer oder unmöglich, einen Zugang zu Netzwerken zu erhalten. Außerdem ist die Unterstützung durch den Berliner Senat hervorragend – auch im Vergleich zu anderen Bundesländern. Und es gibt in Berlin schon viele Frauen mit Einwanderungsgeschichte, die erfolgreich eine Firma gegründet haben. Es sind also Vorbilder vorhanden.
Wie finanzieren Sie Ihre gemeinnützige UG?
Wir werden durch öffentliche Mittel von der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung sowie vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert. Die öffentlichen Gelder decken unser Budget zu 95 Prozent.
Zum Schluss: Welchen Ratschlag möchten Sie Gründerinnen mit Migrationshintergrund geben?
Sie sollten immer an sich glauben und sich trauen, den ersten Schritt zu nehmen.
von Michael Gneuss