BW 04/2022 - Verlagssonderveröffentlichung

Innovation entsteht gemeinsam

Die Kooperation mit Forschungsinstituten birgt für viele Berliner Unternehmen Wachstumspotenzial. Beim Vernetzen helfen IHK und Berlin Partner
Christian Regenbrecht hat früh erkannt, „wie entscheidend der gezielte Austausch von Know-how ist“. Der promovierte Molekularbiologe ist seit 2014 als Biotech-Unternehmer in Berlin-Buch vertreten, einem Wissenschafts-, Medizin- und Technologiestandort im Nordosten Berlins. Für ihn ist vor allem die Nähe zum Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) wichtig. Der Wissenschaftler ist Mitgründer und Geschäftsführer von zwei Firmen aus dem Bereich der Präzisionsdiagnostik: Die eine, ASC Oncology, testet mithilfe eines neuen Verfahrens vor der Therapie von Krebspatienten, welche Medikamente individuell wie gut wirken. Und die zweite, Cellphenomics, übernimmt die nötigen Laborarbeiten – auch als Dienstleister für andere Unternehmen.
Buch zählt zu den elf Zukunftsorten Berlins. Dazu gehören auch im Südosten Adlershof, Deutschlands größter Wissenschafts- und Technologiepark, der Euref-Campus, wo 140 Firmen und Forschungseinrichtungen rund um das Schöneberger Gasometer die Mobilitäts- und Energiewende mitgestalten, und Berlin TXL – The Urban Tech Republic. Auf dem 500 Hektar großen Areal des ehemaligen Flughafens Tegel entsteht ein Forschungs- und Indus-triepark für urbane Technologien.
Wie bedeutsam das Miteinander von Wirtschaft und Wissenschaft ist, hat die IHK Berlin vergangenes Jahr im Rahmen einer Umfrage ermittelt: 70 Prozent der befragten Industrieunternehmen und Dienstleister setzen demnach auf Kooperationen. In acht von zehn Fällen gelten dabei persönliche Kontakte in die Wissenschaft als Türöffner Nummer eins, wofür sich auch Informations- und Netzwerkveranstaltungen eignen, wie 42,4 Prozent der Interviewten zu Protokoll gaben.
Aus Sicht des Molekularbiologen Regenbrecht ist die Zusammenarbeit von Cellphenomics mit dem Sarkomzentrum des Helios Klinikums in Berlin-Buch „ein Glücksfall“. Der Wissenschaftler erklärt kurz: „Sarkome sind eine sehr seltene Krebsart. Darauf spezialisierte Zentren gibt es in Deutschland nur elf. Und wir haben eines auf der anderen Straßenseite, wo meine Gattin als Onkologin arbeitet.“ Sie habe ihm vor Jahren gesagt, es könne doch nicht sein, dass häufig auftretende Krebsarten, also Karzinome, so gut erforscht sind, bei den Sarkomen aber noch so viel Entwicklungsarbeit nötig sei. „Daraus ist dann 2017 ein gemeinsames Entwicklungsprojekt entstanden“, erzählt der Geschäftsführer von Cellphenomics. Seitdem treibt sein auf 3-D-Zellkulturen spezialisiertes Unternehmen die Forschung an Sarkomen voran, um Therapien noch genauer auf die Patienten zuschneiden zu können. Den Effekt beschreibt er so: „Wir gelten mittlerweile in unserem speziellen Segment als führend, was Cellphenomics bei Industriepartnern attraktiv macht, wenn es darum geht, Medikamente für diese seltene Krankheit systematisch zu testen.“ 
Der Molekularbiologe sieht mit Blick auf Berlin-Buch einen ganz entscheidenden Standortvorteil: „Wir sitzen am Rande der Hauptstadt.“ Dort sei es weniger hektisch. Mithin bleibe mehr Zeit zum Nachdenken. Regenbrecht will sich dabei richtig verstanden wissen: Es gehe weniger darum, wie viel auf dem Campus los sei. „Wir sind hier auf Biotech, molekulare Medizin, Biologie fokussiert und ein Stück weit unter uns.“ Da helfe es, ergänzt der Geschäftsführer, wenn im Sommer einzelne Gruppen zum Mittagessen oder abendlichen Grillen auf der Wiese seien und instituts- wie auch unternehmensübergreifend wissenschaftliche Probleme besprächen und sie auf Dauer auch oftmals lösten.

Miteinander wird gezielt gefördert

Alle Betreiber von Zukunftsorten verstehen sich darauf, das Miteinander gezielt zu fördern. Ganz in diesem Sinne vermietet auch die Euref AG auf ihrem Campus die Veranstaltungsflächen vorrangig an die dort ansässigen Unternehmen und Forschungseinrichtungen. „Die Buchungslage ist in diesem und im kommenden Jahr gut“, sagt die für Strategie und Geschäftsentwicklung verantwortliche Vorständin Karin Teichmann. Sie ergänzt: „Wir sehen, dass es wieder einen Bedarf zurück zu echten – sprich analogen – Veranstaltungen gibt.“ Aber da sei man natürlich angesichts der Pandemie immer noch vorsichtig.
Auch große Kongresse wie die „Future-work22“ von Microsoft und dem Arbeitgeberverband BDA stehen dort auf dem Programm: Da geht es am 23. Juni um die Zukunft der Arbeit in Deutschland. Teichmann erwartet allein zu diesem Event „ein paar Tausend Personen“.
„In normalen Zeiten“, sagt die auch für die Unternehmenskommunikation verantwortliche Managerin, „kommen zusätzlich noch Tausende Fachbesucher zu uns, um die Energie- und Mobilitätswende hautnah zu erleben. Dabei besuchen sie unsere Unternehmen, bekommen häufig auch Input von den wissenschaftlichen Einrichtungen.“ Teichmann: „Dann kommt auch mal ein Klimaforscher wie Professor Ottmar Edenhofer vom MCC oder Professor Klaus Töpfer vom Forschungsinstitut TMG oder Andreas Kuhlmann von der Deutschen Energie-Agentur, Dena, dazu.“ Die geben den Gästen des Euref-Campus dann auch einen detailreichen Einblick in die aktuellen Themen der Energie- und Mobilitätswende. Die Diplom-Betriebswirtin spürt dabei seit Ende Januar eines: „Die Zahl der Anfragen internationaler Besucher steigt wieder deutlich an.“
Unter den Augen der Öffentlichkeit führt das Miteinander von Forschungsinstituten und Firmen auf dem Euref-Campus auch zu beachtenswerten Innovationen. Teichmann fallen dabei sofort zwei Beispiele ein: der Pantograf, der Elektrobusse von oben auflädt. Ein Projekt, das die BVG gemeinsam mit der TU Berlin entwickelt hat. Und der autonom fahrende Shuttle, der seinerzeit dort im Rahmen eines Forschungsprojektes entwickelt worden ist.

Veranstaltungen als Stimulanz

Zwischen den Zukunftsorten gibt es auch einen regen Austausch. Vorständin Teichmann denkt dabei nicht nur an das institutionalisierte Miteinander – gesteuert von der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe. „Das funktioniert auch informell“, sagt sie.
Als eine hilfreiche Drehscheibe fürs Miteinander von Wirtschaft und Wissenschaft erweist sich Berlin Partner, die Wirtschaftsförderung der Hauptstadtmetropole. Sie plant für den Herbst dieses Jahres gemeinsam mit zahlreichen Partnern die „Transfer Week 2022“. Dann dürften kluge Köpfe von innovativen Firmen und Forschungsinstituten eine Woche lang über zukunftsweisende Themen diskutieren, Informationen über das Fördern von Verbundvorhaben erhalten und Wissenswertes über regionale Transferstellen erfahren. „Die Vorgespräche dazu laufen gerade“, sagt Thomas Meißner, Leiter der Abteilung Mobilität, Energie, Innovation bei Berlin Partner, der auch zu Fördermöglichkeiten Auskunft geben kann (s. „Fördermittel“ nächste Seite).
Darüber hinaus finden ihm zufolge regelmäßig Veranstaltungen statt, die dazu dienen, den Transfer und die Entwicklung neuer Projekte zwischen Unternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen zu stimulieren – und zwar in den Clustern Energietechnik, Gesundheitswirtschaft, IKT/Medien/Kreativwirtschaft, Optik/Photonik sowie Verkehr/Mobilität und Logistik.
Wenn Firmenverantwortliche mit wissenschaftlichen Einrichtungen ein gemeinsames Projekt angehen wollen, können sie Profis von Berlin Partner hinzuziehen – egal, ob es um Hilfe bei der Analyse des möglichen Potenzials oder ein Konzept für die Realisierung geht. „Alleine im vergangenen Jahr haben wir 150 Projekte dieser Art mitbetreut“, sagt der Maschinenbauingenieur. 
Eine wichtige Rolle spielen dabei auch Zuschüsse und zinsgünstige Darlehen der öffentlichen Hand zum Finanzieren der gemeinsamen Vorhaben – beispielsweise im Rahmen regionaler Programme wie ProFit und Transfer-Bonus. „Diese Förderprogramme sind unser Tagesgeschäft“, so Meißner, „sie fließen in alle Erstberatungen und weiterführenden Gespräche mit unseren Innovationsmanagern ein.“
Auch Molekularbiologe und Biotech-Unternehmer Christian Regenbrecht nutzt Berlin Partner für große Projekte: „Die Damen und Herren verstehen es gut, über Campus-Grenzen hinweg zu vernetzen und Brücken zu bauen, damit die richtigen Leute zur passenden Zeit an einem Tisch sitzen.“

Fördermittel

Verfahren

Thomas Meißner weist darauf hin, dass das Förderprogramm ProFit attraktiv ist, in der Vorbereitung aber auch anspruchsvoll: Nach korrekter Antragstellung müssen zwei externe Gutachter das Vorhaben positiv bewerten, erst dann gibt es grünes Licht.

Unterstützung

Wer sich mit Förderanträgen weniger auskennt, kann sich an die mit dem Programm betraute Investitionsbank Berlin (IBB) wenden. Oder an Berlin Partner. Der Wirtschaftsförderer hilft kostenlos mit Anregungen.

Eckpfeiler

Förderfähig sind Projekte Berliner Firmen in den Phasen der industriellen Forschung, der experimentellen Entwicklung sowie des Produktionsaufbaus, der Markt­vorbereitung und -einführung. Es gibt nicht rückzahlbare Zuschüsse (bis zu 400.000 Euro) oder zinsverbilligte Darlehen (bis zu einer Million Euro). Details: bit.ly/IBB-ProFit

von Rudolf Kahlen