BW 11/2021 - Schwerpunkt | Interview

"Wir profitieren von der Berliner Barkultur“, Interview mit Sigrid Bachert

Thomas Henry hat sich als Premiummarke für Tonic Water etabliert. Geschäftsführerin Sigrid Bachert forciert nun den Export, damit ihr Unternehmen das Wachstumstempo aufrechterhalten kann
Nach der Gründung im Jahr 2010 hat die Thomas Henry GmbH sich zunächst in der deutschen Gastronomie einen Namen gemacht – später auch im Einzelhandel. Seit dem Jahr 2012 wird das Tonic Water auch im Ausland verkauft. Mittlerweile ist die Marke in 56 Ländern präsent. Und es soll noch weiter gehen.

Berliner Wirtschaft: Welche Bedeutung hat der Export für Sie?

Sigrid Bachert: Wir verdienen im Ausland einen Teil unseres Geldes. In diesem Jahr werden wir wahrscheinlich knapp 20 Prozent unseres Umsatzes im Export machen. Wichtiger sind die Ausfuhren für uns aber im Hinblick auf unsere Zukunftsaussichten. In unserem Heimatmarkt Deutschland sind die Wachstumschancen begrenzt, im Ausland sehen wir hingegen ein hohes Wachstumspotenzial.

Haben Sie konkrete Wachstumsziele?

Wir wollen den aktuellen Umsatz von rund 35 Millionen Euro in den kommenden sieben Jahren verdoppeln. Um das zu schaffen, müssen wir die Exportquote auf 50 Prozent steigern. Das halten wir für möglich, denn die Zahlen steigen schon jetzt stark an. Vor Corona, 2019, lag unser Exportanteil bei zehn Prozent. In diesem Jahr werden es fast 20 Prozent sein. Nur im Corona-Jahr 2020 war das Geschäft im Ausland sehr schwach, da die Gastronomie geschlossen war. In einigen Ländern haben wir so gut wie gar keinen Umsatz mehr gemacht.

Wie sind Sie in Deutschland durch die Pandemie gekommen?

Deutlich besser, weil wir hier auch im Einzelhandel schon recht stark waren. Im Ausland sind wir zu 80 Prozent von der Gastronomie abhängig gewesen, in Deutschland nur noch zu 30 Prozent. Wir haben in der Krise unsere Gastronomie-Außendienst-Mannschaft zusätzlich in den Handel geschickt. Das hat viel gebracht. So konnten wir in Deutschland einen Teil der Exportverluste ausgleichen. Das Umsatzminus 2020 lag insgesamt bei nur drei Prozent.

Wie sind Sie im Ausland mit der Krise umgegangen?

Das war sehr schwer. Im Ausland sind wir im Einzelhandel noch sehr schwach vertreten. Wir haben auch dort den Vertrieb während des Lockdowns auf den Handel fokussiert. Aber in der Regel ist es nur einmal im Jahr möglich, sich neu in den Märkten listen zu lassen. Wir konnten also nur noch dafür sorgen, dass wir 2021 in die Regale kommen. Für 2020 konnten wir im Ausland damit keine Umsätze retten.

Warum war im Ausland die Abhängigkeit von der Gastronomie so viel größer als in Deutschland?

Es ist unsere Strategie, unsere Marke zuerst über die Gastronomie bekannt zu machen. Wir kommen aus der Barszene und wollen in den Bars unser Image und unsere Markenbekanntheit aufbauen. Wenn das gelungen ist, gehen wir in den Einzelhandel. Die Kunden sollen dann dort die Marke Thomas Henry, die sie in den Bars erlebt haben, wiedererkennen. Das haben wir in Deutschland zunächst genauso gemacht, nur sind wir hier eben schon weiter und auch im Einzelhandel bereits erfolgreich.

Dann ist diese Strategie auch die Blaupause für den Einstieg in die jeweiligen Exportmärkte?

Ja, der Kern der Marke ist immer die Barkultur. So entwickeln wir übrigens auch Produkte. Wir gehen auf Ideen von Barkeepern ein oder entwickeln eigene Ideen mit Barkeepern weiter. Wir gehen dafür nicht in Labore. Für Botanical Tonic, das wir 2020 auf den Markt gebracht haben, wurden fünf Runden mit Barkeepern veranstaltet. Das ist wichtig, weil wir keine Produkte zum Pur-Trinken haben. Wir sehen uns als Mixer. Das Produkt muss mit Alkohol den richtigen Geschmack treffen. Und den kann nur jemand finden, der in der Bar-Szene zu Hause ist und die verschiedenen Spirituosen gut kennt.

Sind Barkeeper sozusagen die Stars in Ihrem Geschäft?

Ich glaube, dass Barkeeper schon immer so etwas wie Influencer waren. Ein Influencer ist ja jemand, der etwas empfiehlt. Und die Aufgabe eines Barkeepers ist es als Gastgeber und Experte für Spirituosen, einen guten Drink zu empfehlen. Früher hat man mal gesagt: Köche sind die neuen Rockstars. Ich würde sagen: Barkeeper sind die neuen Rockstars. Übrigens treffen sich Barkeeper aus aller Welt einmal im Jahr auf dem Bar Convent Berlin. Das ist eine Fachmesse, die vor etwa zehn Jahren gegründet wurde. Mit ihr ist Thomas Henry quasi aufgewachsen.

Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, in welche Länder sie exportieren wollen?

Wir schätzen für die Märkte ab, welches Absatzpotenzial sie bieten und wie wir uns dort preislich aufstellen können. Wir sind ein Premiumprodukt. Wir produzieren alles in Deutschland. Also müssen wir sicherstellen, dass wir Margen erwirtschaften können, mit denen wir zurechtkommen. Außerdem brauchen wir in jedem Land einen Distributionspartner. Die sind am Ende ausschlaggebend für den Erfolg in den Märkten.

Wie finden Sie die richtigen Distributionspartner?

Wir suchen uns in jedem Land einen großen Partner, der Spirituosen verkauft. Denn die kennen die Gastronomie und auch die Barkeeper. In Italien sind wir beispielsweise bei Campari im Vertrieb. Die haben circa 15 Marken im Sortiment, die meist auch nicht pur konsumiert werden. Am Ende will auch Campari einen Drink verkaufen, und wenn sie Tonic Water mit ins Angebot nehmen, kontrollieren sie die komplette Wertschöpfungskette. Sie haben dann die Produktqualität im Griff, weil ihre Spirituosen dann nicht mir irgendeinem Tonic Water gemischt werden, sondern mit Thomas Henry.

Im Moment sind Sie sehr fokussiert auf Europa. Denken Sie schon weiter?

Der Fokus liegt weiterhin in Europa, weil hier noch großes Potenzial besteht. Wir haben aber auch schon erste Schritte in die USA und in China gemacht. Wir verkaufen zum Beispiel auch in Chile – und zwar gar nicht so wenig. Die Marke Thomas Henry wird mitunter auch von Barkeepern in andere Länder mitgenommen, ohne dass wir etwas davon erfahren. Ich höre dann plötzlich, dass jemand Thomas Henry in Peru in der Atacama-Wüste bekommen hat oder in einem Hotel in Singapur.

In welchen Märkten sind Sie heute am stärksten?

Österreich ist hinter Deutschland unser zweitgrößter Markt, dann kommen Italien, die Schweiz, Kroatien, die Niederlande und Dänemark.

Was mussten Sie anfangs in die Wege leiten, um ganz neu ein Exportgeschäft aufzubauen?

Es war nicht so, dass wir selbst das angegangen sind. Es gab Anfragen von Großhändlern aus verschiedenen Ländern, die unsere Marke gern aufnehmen wollten. So hat es angefangen. Danach war es eher Trial-and-Error. Wir hatten anfangs keine ausgefeilte Exportstrategie. Es hat sich entwickelt, und wir haben immer genau beobachtet, was funktioniert und was nicht funktioniert. Daraus lernt man sehr schnell. Wir wussten aus diesen Erfahrungen, dass Distributionspartner, die Spirituosen verkaufen, am besten zu uns passen.

Mussten Sie das Unternehmen nicht auch umbauen und neue Abteilungen schaffen?

Wir mussten das Unternehmen ein bisschen anders strukturieren. Im Verkauf ist das nicht so schwierig. Am kompliziertesten ist es in der Produktion und in der Logistik. Für sehr viele Länder müssen wir eigene Etiketten drucken. In Dänemark gibt es beispielsweise ein eigenes Recycling-System mit speziellen Symbolen. Wir haben zwölf verschiedene Geschmacksrichtungen, dann auch noch verschiedene Flaschengrößen, und wenn die in 20 verschiedene Sprachräume verschickt werden, bekommt die Logistik eine gewisse Komplexität. Und die einzelnen Losgrößen werden geringer, und damit steigen die Stückkosten.

Profitieren Sie als Berliner Unternehmen vom Image der legendären Berliner Club-Kultur?

Wir profitieren sehr stark von der Berliner Barkultur beziehungsweise vom Berliner Nachtleben. Barkeeper aus aller Welt schauen nach Berlin. Ein Drink wird hier viel mehr zelebriert als in den USA. Dort kommt Tonic Water aus einem Schlauch und wird ins Glas gespritzt. Hier wird ein Glas mit Eis und Gin auf den Tisch gestellt, dann kommt die Flasche mit Tonic Water dazu. So nimmt der Gast die Marke wahr. Wir merken auch oft, dass Menschen aus anderen europäischen Ländern zum Feiern nach Berlin kommen und Marken, die sie hier kennengelernt haben, mit in ihre Heimatländer nehmen.
von Michael Gneuss