BW 12/2021 - Schwerpunkt | Interview

„Wichtig ist, modern zu bleiben“

Der stationäre Buchhandel hat Zukunft, meint Andrea Ludorf, Chefin des Dussmann Kulturkaufhauses – wenn er nah an seinen Kunden bleibt
Der Buchhandel durfte auch während der Lockdowns in Berlin geöffnet bleiben. Dennoch blieb die Pandemie auch für Dussmann das Kulturkaufhaus nicht ohne Konsequenzen. Geschäftsführerin Andrea Ludorf blickt nun optimistisch auf das Jahresendgeschäft. Der internationale Tourismus ist indes noch nicht wieder zurück in der Hauptstadt.

Berliner Wirtschaft:

Glauben Sie, dass Berliner mehr oder weniger als die Bewohner anderer Städte und Regionen lesen?

Andrea Ludorf:

Das lässt sich so für ganz Berlin gar nicht beantworten. Wir in Berlin-Mitte profitieren sehr stark von der Lage an der Friedrichstraße. Der Bundestag befindet sich in unserer Nähe, ebenso viele Büros, in denen Menschen aus dem gesamten Politik-Umfeld arbeiten. Wir haben ein sehr gebildetes und anspruchsvolles Publikum. In Mitte Bücher verkaufen zu dürfen, ist sicherlich ein sehr privilegiertes Geschäft. Ob diese Aufgabe in allen Bezirken so dankbar ist, mag ich nicht beurteilen.

Sie sind also zufrieden mit dem Standort Friedrichstraße. Das sind nicht alle Einzelhändler.

Ich meine hier den Teil der Friedrichstraße, der nördlich der Straße Unter den Linden verläuft. Diese Lage funktioniert nach wie vor sehr gut. Auch durch die Touristen. Wer am Bahnhof Friedrichstraße aussteigt und die Straße Unter den Linden zum Brandenburger Tor – oder jetzt auch zum Humboldt Forum – entlanglaufen will, kommt am Kulturkaufhaus vorbei oder sucht möglicherweise direkt diesen Weg. Wir haben vor der Pandemie ermittelt, dass 40 Prozent unserer Kunden Touristen sind. Eine Hälfte davon ist international, die anderen 50 Prozent sind Städtereisende aus anderen deutschsprachigen Regionen.

Die Touristen sind seit dem vergangenen Jahr aber aufgrund der Pandemie selten geworden. Wie schwer hat Corona Sie getroffen?

Generell hat es die 1-a-Lagen im Buchhandel besonders schwer getroffen, das belegen auch die Zahlen des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Die Kiez-Buchhandlungen, die wohnortnah die Menschen mit Büchern versorgen, haben es etwas leichter gehabt.

Immerhin durfte der Buchhandel auch in Lockdown- Zeiten offen bleiben.

Dafür sind wir der Politik sehr dankbar. Es war dennoch eine schwere Zeit, denn die Frequenz ist in dieser Zeit natürlich stark eingebrochen. Schon vor dem ersten Lockdown, als in den Medien von den ersten Corona-Fällen in Berlin berichtet wurde, ging die Frequenz um etwa 20 Prozent zurück. Im ersten Lockdown war dann selbst am Brandenburger Tor keine Menschenseele mehr zu sehen. Wir selbst haben das Ladengeschäft für vier Wochen freiwillig geschlossen. Nachdem wir das Haus hygienekonform umgebaut hatten und die ersten Teilflächen wieder öffnen durften, haben wir den Betrieb auch wieder aufgenommen und waren seitdem dauerhaft geöffnet, mit einigen Einschränkungen bei den Öffnungszeiten.

Aber um Sie herum war alles zu.

Genau. In einer Straße, in der fast jeder Laden geschlossen ist, sind kaum Kunden unterwegs. Hinzu kam, dass die Kunden durch unterschiedliche Regelungen und die Medienberichterstattung verunsichert waren. Welches Ladengeschäft hat geöffnet? Welche Regelungen gelten im Hinblick auf Einlasskontrollen, Test- und Terminpflicht? Wir haben das stark zu spüren bekommen, an der Frequenz und auch beim Umsatz, der 2020 mehr als 30 Prozent unter dem Vorjahr lag.

Wie haben Sie darauf reagiert?

Wir haben uns 2020/21 deutlich stärker auf die nicht stationären Umsätze konzentriert: Den Onlineshop und den Bereich der Firmenkunden, zu denen auch Institutionen und Bibliotheken zählen. Wenn wir beispielsweise eine Ausschreibung einer Bibliothek gewinnen, liefern wir dorthin regelmäßig ein bestimmtes Kontingent an Büchern, Noten oder Tonträgern.

Wie stark sind Sie online in der Krise gewachsen?

Wir hatten vorher eine White-Label-Lösung von einem Zwischenhändler, der in unserem Namen und unserem Look-and-Feel Bücher online verkauft hat. Schon vor Corona hatten wir geplant, diese Lösung durch einen eigenen Onlineshop zu ersetzen. Im November 2020 sind wir damit live gegangen. Insgesamt haben wir unseren Online-Umsatz während der Pandemie vervierfacht.

Warum ist Ihnen der eigene Onlineshop so wichtig?

Der wichtigste Aspekt ist, dass wir damit endlich unser ganzes Sortiment zeigen können. Wir haben europaweit das größte Jazz- und Klassik-Sortiment im Tonträgerbereich – und dementsprechend auch sehr viel Kompetenz in der Belegschaft. Einige Mitarbeitende sind seit 25 Jahren bei uns im Bereich Jazz und Klassik tätig und zum Teil auch selbst Musiker. Diese Kompetenz wollen wir auch online nutzen. Dasselbe Personal, das bei uns im Laden arbeitet, nimmt auch die Bestückung des Onlineshops vor. Es ist uns sehr wichtig, dass diese Dinge zusammenwachsen. So können sich unsere Mitarbeitenden auch weiterentwickeln. Denn E-Commerce gehört inzwischen zum Handel ganz selbstverständlich dazu.

Machen Sie sich angesichts steigender Online-Umsätze keine Sorgen um den stationären Buchhandel?

Meiner Einschätzung nach ist der Markt im Grunde sehr stabil. Er verschiebt sich noch nicht so stark ins Digitale, wie das in anderen Branchen der Fall ist. Außerdem profitieren wir auch von den steigenden Umsätzen im eigenen Onlineshop. Das verdanken wir unter anderem der in Deutschland geltenden Buchpreisbindung, nach der Bücher überall im Land das Gleiche kosten. Es ist für die Kunden auch deshalb attraktiv, in ihrer Kiezbuchhandlung zu kaufen, weil es dort nicht teurer ist als im Onlinehandel.

Sie sehen also auch kleine Kiez-Buchhandlungen nicht als bedroht an?

Generell nicht. Die entscheidende Frage ist: Wie nah bin ich meinen Kunden? Wie gut kann ich mich auf sie einstellen? Viele Kiezbuchhandlungen sind genau aus diesem Grund verhältnismäßig gut durch die Krise gekommen. Sie haben während der Pandemie – so wie wir auch – Bücher per Fahrradkurier ausgeliefert. Wichtig ist – für die Kiez-Buchhandlung ebenso wie für das Kulturkaufhaus –, modern zu bleiben und sich konsequent an den Bedürfnissen der eigenen Kunden auszurichten. Ich bin mir sicher: Wenn er dieses Credo ernst nimmt, hat der stationäre Buchhandel auch Zukunft.

Und wie bleibt man modern?

Die entscheidende Frage ist: Wie unterscheidet sich der stationäre Handel vom E-Commerce? Die Stärken des Onlinehandels sind die riesige Auswahl und das bequeme Einkaufen auf dem Sofa. Die Stärke des stationären Ladengeschäfts ist, dass es ein Ort der Begegnung sein kann. Wir bemühen uns daher sehr, die Aufenthaltsqualität hochzuhalten, Events zu bieten, und stellen die Services gezielt in den Mittelpunkt. Zum Beispiel spielen bei uns einmal im Jahr die Musiker der Staatsoper beim sogenannten Staatsopernsonntag. Das ist ein tolles Erlebnis für die ganze Familie. Wir wollen unseren Kunden einen hohen Erlebniswert bieten. Deshalb haben wir im letzten Jahr in unseren Räumen auch unsere Kultur- Manufaktur auf den Weg gebracht, in der man Kultur selber kreieren, gestalten und produzieren kann.

Was sind aktuelle Kundenbedürfnisse, auf die Sie reagieren?

Wir haben zum Beispiel unsere Vinyl-Abteilung deutlich ausgebaut. Das Interesse an den Schallplatten wächst derzeit stark. Auf der anderen Seite bieten wir natürlich E-Books an, deren Marktanteil in den letzten Jahren kräftig gestiegen ist. Er liegt jetzt bei sechs Prozent, gemessen am Gesamtmarkt. Unseren English Book Shop pflegen wir auch sehr intensiv – nicht nur für Touristen. Die jungen Kunden lesen sehr viel auf Englisch. Auch mit unserem Onlineshop bedienen wir letztlich Erwartungen unserer Kunden. Sie wünschen sich das Kulturkaufhaus auch digital als Ansprechpartner für die Themen Buch und Medien.

Haben Sie Sorgen, dass steigende Infektionszahlen Ihnen das wichtige Weihnachtsgeschäft verhageln?

Wir wissen aus dem vergangenen Jahr, dass die Menschen auch in Pandemiezeiten Weihnachtsgeschenke kaufen. Außerdem haben wir einen wirklich starken Herbst. Es kommt gerade ein Bestseller nach dem nächsten raus. Wir sind deshalb voller Vorfreude, was das Weihnachtsgeschäft angeht.

von Michael Gneuss