Talk-Panel: Brexit - Der Countdown läuft

Je näher der Tag des endgültigen Austritts aus der EU rückt, desto größer wird auch die Unsicherheit deutscher Unternehmen – schließlich gehört das Vereinigte Königreich zu den wichtigsten Handelspartnern Deutschlands. Wie geht es jetzt weiter? Wenn der 10. „IHK-Außenwirtschaftstag NRW“ am 20. September in Aachen unter dem Motto „Welthandel im Weltwandel“ gut 800 Teilnehmer willkommen heißt, können Unternehmensvertreter gemeinsam mit internationalen Handelsexperten über Folgen des Brexits und unternehmerische Lösungsoptionen diskutieren.
Das Brexit-Votum war für viele deutsche Unternehmen ein Schock, immerhin betrug das Handelsvolumen zwischen Deutschland und Großbritannien im Jahr 2017 insgesamt gut 121,5 Milliarden Euro. Rund 750.000 der deutschen Arbeitsplätze hängen unmittelbar oder indirekt vom Handel mit den Briten ab und etwa 2.500 Niederlassungen deutscher Unternehmen beschäftigen nahezu 400.000 Mitarbeiter im Vereinigten Königreich. Zu eng also die Beziehungen, zu wichtig die wirtschaftliche Zusammenarbeit, als dass man die Trennung von der Europäischen Union ernsthaft für möglich gehalten hätte.
Und doch wird sie zum 30. März 2019 Realität. Bisher ist jedoch ungewiss, wie sich die Handelsbeziehung zwischen britischer Insel und europäischem Kontinent in Zukunft gestalten wird: Die Wirtschaft wünscht möglichst keine Einschränkungen des Marktes, während die Politik auf spürbare Konsequenzen für den EU-Gegner Wert legt, will man doch keinesfalls den Weg für weitere potenzielle Aussteiger bereiten. Ohne Einigung droht der Rückfall auf den Mindeststandard der Welthandelsorganisation WTO, der mit hohen Kosten und viel Bürokratie für Unternehmen verbunden wäre. Wie also geht es jetzt weiter im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft und Politik?
Unsicherheit bei deutschen Unternehmen
Wie groß die Ratlosigkeit deutscher Unternehmer ist, zeigt die Unternehmensumfrage „Auswirkungen des Brexit“ des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK): 55 Prozent der Unternehmen, die sich mit den Auswirkungen des Brexit auf ihr Geschäft überhaupt schon befasst haben, können die konkreten Auswirkungen des EU-Austritts noch nicht einschätzen. Lediglich 14 Prozent fühlen sich gut auf die drohenden Konsequenzen vorbereitet. Darum ist die bevorstehende Abspaltung der Briten von der EU auch Thema eines der neun Workshops beim 10. Außenwirtschaftstag der nordrheinwestfälischen IHKs am 20. September in Aachen.
„Schon bei der IHK-Begegnungswoche zum Thema ‚Ostwestfalen meets Great Britain‘ im vergangenen Jahr haben wir deutlich gespürt, dass der Brexit für die deutschen Unternehmen eine große Rolle spielt“, erklärt Workshop-Leiter Harald Grefe. „Das ist wenig überraschend, schließlich ist Großbritannien ein Riesenmarkt direkt vor unserer Haustür – und der droht nun deutlich schwieriger zu werden.“ Neben seiner Tätigkeit als stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK Ostwestfalen zu Bielefeld begleitet er die IHKs in NRW als Teil einer dreiköpfigen Expertengruppe in außenwirtschaftlichen Fragen.
Gut vorbereitet auf mögliche Konsequenzen
Die meisten Unternehmen hoffen natürlich, dass die zukünftigen Erschwerungen und bürokratischen Auflagen möglichst gering ausfallen. Aber auch für potenzielle Einschränkungen des Handels zwischen europäischem Festland und dem Inselstaat skizziert Grefe Lösungen: Auf drohende Einfuhrzölle könnte notfalls mit Preissenkungen am Absatzmarkt reagiert werden, um weiterhin mit britischen Produkten konkurrieren zu können. Außerdem könnten bisherige reine Vertriebsstandorte in Großbritannien zu Logistik-, Dienstleistungs- oder gar Produktionsstandorten ausgebaut werden, um damit eine größere Wertschöpfung im Land selbst anzubieten. Das ermöglicht mehr Unabhängigkeit von Warenlieferungen aus Deutschland. „Der „Worst Case“ für das eine oder andere Unternehmen wäre, sich schlussendlich ganz vom britischen Markt zurückzuziehen und zu versuchen, die Umsatzverluste in einem anderen Land zu kompensieren“, zeigt Grefe weiter auf.
Obwohl die gegenwärtige Lage also von Ungewissheit geprägt und eine sichere Prognose schwer zu treffen ist, bleibt er zuversichtlich: Zwar sei das Handelsvolumen zwischen dem Vereinigten Königreich und Deutschland sehr bedeutsam, allerdings seien international aktive Unternehmen – etwa durch Währungsschwankungen – bereits an ein gewisses Auf und Ab in den Märkten gewöhnt und hätten Strategien, sie zu kompensieren.
Gemeinsam mit Vertretern zweier europaweit tätiger Unternehmen, einem Mitarbeiter des DIHK-Büros in Brüssel sowie dem Geschäftsführer der deutschen Auslandshandelskammer in London beleuchtet der Außenhandelsexperte beim Workshop am 20. September die verschiedenen Facetten des Großbritanniengeschäfts sowie die unternehmerischen Optionen. „Bei einer Podiumsdiskussion berichten unsere Gäste von den Handelsstrategien, mit denen sie auf den Brexit reagieren – das hilft den anderen IHK-Mitgliedern dabei, die eigene Situation besser einschätzen zu können“, sagt Grefe. Er ist sich sicher: Im gemeinsamen Erfahrungsaustausch werden die Workshop-Teilnehmer geeignete Lösungswege für den Umgang mit dem britischen Markt nach dem EU-Austritt entwickeln – und so Sicherheit für die noch offene Zukunft gewinnen.
Informationen rund um den 10. „IHK-Außenwirtschaftstag NRW“ in Aachen und die Möglichkeit zur Anmeldung gibt es im Internet unter www.ihk-aussenwirtschaftstag-nrw.de