Interview: Dr. Bettina Bunge

"Ich sehe Potenzial bei der Vermarktung"

Sie ist seit November 2017 Geschäftsführerin der Tourismus-Agentur Schleswig-Holstein GmbH (TA.SH): Dr. Bettina Bunge spricht über ihre Ziele und Strategien für den Tourismus in Schleswig-Holstein. Im Fokus standen dabei ganz besonders das Kongress-, das Auslands- und das Digitalmarketing.
Frau Bunge, was reizt Sie an Ihrer neuen Aufgabe besonders?
Es ist mir eine Ehre, im Auftrag der Landesregierung gemeinsam mit meinem Team und der Tourismusindustrie für Schleswig-Holstein zu werben. Ich bin als Lüneburgerin ein Kind des Nordens, habe in Hamburg gearbeitet und oft Urlaub in Schleswig-Holstein gemacht. Die Menschen hier sind sympathisch, offen und ehrlich, manchmal etwas zurückhaltend. Die Zusammenarbeit macht mir viel Freude, auch wenn ich selbst nicht so zurückhaltend bin (lacht).
Was sind für Sie die Vorzüge des Tourismus in Schleswig-Holstein?
Wir sind das nördlichste Bundesland mit wunderschönen Küsten, unterschiedlichen Meeren und einzigartiger Naturlandschaft. Wir haben UNESCO-Welterbestätten, sind Brückenland zu Skandinavien und zum Baltikum. Wir bieten gesundes Leben und nachhaltige Tagungsmöglichkeiten. Wir sprechen gleichermaßen Natururlauber, Familien, Entschleuniger, Neugierige und Städtereisende, aber auch Firmen und Verbände an.
Wo sehen Sie Handlungsbedarf?
Bei der Verkehrsanbindung, bei der digitalen Infrastruktur und bei Investitionen in Hotels und Veranstaltungsstätten. Die Fachkräfteanwerbung sollte vorangetrieben werden. Bei der Vermarktung sehe ich Potenzial bei den Themen Ganzjahresdestination, Tagungs- und Kongressgeschäft sowie bei ausländischen Gästen. Auch im digitalen Marketing haben wir Aufholbedarf, um von onlineaffinen Zielgruppen gefunden zu werden.
Warum ist der Geschäftsreiseverkehr ein wichtiger Wirtschaftsfaktor?
Das MICE-Geschäft - Meetings, Incentives, Congresses, Events - generiert generell eine hohe Wertschöpfung: durch Anmietung von Veranstaltungsflächen, Hotelbuchungen, Technikausstattung, Catering und Rahmenprogramm. Im Durchschnitt gibt der Geschäftsreisende mehr Geld aus als der Privatreisende. Da bestimmte Veranstaltungen wetter- und saisonunabhängig stattfinden können, fördert das Tagungs- und Kongressgeschäft eine ganzjährige Auslastung. Orte, die nicht als klassische Urlaubsziele gelten, können sich hier profilieren.
Zur Person
Dr. Bettina Bunge, Jahrgang 1967, stand mit ihrer mittlerweile 20-jährigen Berufserfahrung vor der TA.SH über acht Jahre an der Spitze der Dresden Marketing GmbH. Parallel war sie ehrenamtlich Vice President Meetings Industry des internationalen Verbands "European Cities Marketing" und hatte die Leitung der Konferenz Tourismus des Deutschen Städtetages inne. Zuvor war Bunge fünf Jahre Bereichsleiterin Marketing der Hamburg Tourismus GmbH. Sie leitete außerdem das weltweite Vertriebsmanagement der Deutschen Zentrale für Tourismus e. V. in Frankfurt am Main.
Wie hoch ist der Geschäftsreiseanteil in Schleswig-Holstein?
Bisher nur circa zehn bis 15 Prozent. Laut der Studie "Tagungs- und Eventbarometer" haben wir 355 Veranstaltungsstätten. 2016 wurden mit 77.000 durchgeführten Veranstaltungen 6,3 Millionen Teilnehmertage generiert - jedoch 70 Prozent mit nur maximal 100 Teilnehmern. Um das MICE-Geschäft auszubauen, etablieren wir gerade ein Schleswig-Holstein Convention Bureau als zentrale Anlaufstelle für Firmen, Verbände und Institutionen. Es bietet eine Erstberatung. Wir müssen uns auch in Branchennetzwerken wie dem German Convention Bureau und der International Congress and Convention Association engagieren.
Sie wollen mehr ausländische Touristen gewinnen - warum?
Nur 6,9 Prozent unserer Übernachtungen kommen aus dem Ausland. Wir brauchen neben dem Inlandsmarkt auch ausländische Gäste, denn sie weisen eine verhältnismäßig hohe Kaufkraft auf und können Multiplikatoren für unser weltoffenes Bundesland sein. Gemeinsam werden wir künftig in Dänemark, Schweden, Norwegen, der Schweiz, Österreich, den Niederlanden und Polen aktiv sein. Generell kann der Tourismus immer auch Startpunkt für weitere wirtschaftlich relevante Entscheidungen sein, etwa hier zu studieren, zu arbeiten oder zu investieren. Das heißt, erfolgreiches Tourismusmarketing ist auch Werbung für uns als Bildungs- und Wirtschaftsstandort.
Wie wollen Sie das digitale Marketing ausbauen?
Über 70 Prozent der Touristen informieren sich mittlerweile über digitale Kanäle, circa 50 Prozent buchen bereits online. Aber nicht jede Pension muss eine eigene Website in sieben Sprachen und eigene Social-Media-Kanäle vorhalten. Wir als Dachmarketingorganisation müssen die relevanten überregionalen Kommunikationsplattformen und Content-Management-Systeme bedienen, damit Schleswig-Holstein wahrgenommen wird.
Wir brauchen neben dem Inlandsmarkt auch ausländische Gäste.
Minister Bernd Buchholz hat angekündigt, dass die strategischen Ziele der Tourismusstrategie 2025 voraussichtlich früher erreicht werden als geplant. Wie soll die Strategie dann weiterentwickelt werden?
Der Tourismusboom der letzten Jahre verdeutlicht, dass sich die Tourismusstrategie 2025 bis dato bewährt hat. Aber ab jedem ersten Januar müssen die Betten und Freizeiteinrichtungen neu gefüllt werden. Wachstum und Erfolg sind also keine Selbstverständlichkeit. 2019 wird die Tourismusstrategie evaluiert, gegebenenfalls werden dann quantitative Ziele angeglichen oder qualitative Aspekte in den Vordergrund gestellt. Was uns fehlt, ist eine langfristige Tourismusmarketingstrategie auf Basis einer repräsentativen Markentreiberanalyse für die TA.SH und das Marketing im Land insgesamt. Gemeinsam mit den Partnern im Land werden wir einen strategischen Marketingplan entwickeln. Mit einem Wissensmanagement wollen wir auch mehr voneinander lernen.
Wo sehen Sie das Reiseland Schleswig-Holstein in fünf Jahren?
Als beliebte Ganzjahresdestination mit intelligent verteilten Besucherströmen, international bekannter, auf der Landkarte der Tagungs- und Kongressbranche sichtbar und in Harmonie zwischen Bewohnern und Besuchern. Das Letzte ist essenziell: Nur wenn für Bewohner die Vorteile des Tourismus überwiegen, werden sie ihren eigenen Ort gern vermarkten. Hier müssen wir frühzeitig intelligente Lösungen für überlaufene Tourismusorte beziehungsweise "Overtourism" finden. Glücklicherweise sind die Schleswig- Holsteiner ja stolz auf ihr Land – sie leben und arbeiten gern hier. Mein Appell: Seien Sie auch weiterhin unsere Botschafter für Schleswig-Holstein als attraktives Reise- und Tagungsziel.
Interview: Andrea Scheffler
Veröffentlicht am 2. März 2018