Von Sauriern bis Zauneidechsen

Lebendiger Steinbruch

Lebendiger Steinbruch in der Magdeburger Börde – Sträflingskleidung, Fußfesseln, schwere Arbeit. Beim Begriff Steinbruch kommen vielen Menschen seltsame Assoziationen. Mit der Realität haben die aus Literatur und Film eingebrannten Klischees wenig zu tun. »Die Zeit der Ketten und Eisenkugeln am Bein ist vorbei«, schmunzelt Sascha Wienbrock, Betriebsleiter des Hartsteinwerks Mammendorf. Einzig die schwere Arbeit mit hartem Gestein ist geblieben. Für die 45 Beschäftigen ist diese aber keine Strafe, sondern dank modernster Technik zuweilen sogar ein Vergnügen.
Wenn der Diplomingenieur seinen Betrieb vorstellt, beginnt sein Bericht vor vielen Millionen Jahren. Als der Flechtinger Höhenzug noch von Vulkanen gesäumt war, spuckten die jenes Material aus, das heute als Rohstoff heiß begehrt ist. Später stampften dort Dinosaurier durch den Schlamm. Auch zahlreiche andere Urzeitgeschöpfe hinterließen zu Lande im Sand und zu Wasser auf einem Riff ihre Spuren. Das heute gewonnene vulkanische Hartgestein Andesit wird hauptsächlich zu Edelsplitten und Edelbrechsanden für den Straßenbau, Gleisschotter, Wasserbausteinen und Tragschichtgemischen, aber auch zu diversen Sondermaterialien verarbeitet. Mehr als eine Million Tonnen davon werden jährlich besonders in den norddeutschen Raum und die benachbarten Länder vermarktet.
Wer in den riesigen, bis 70 Meter tiefen, rund zwanzig Hektar großen Steinbruch blickt, kann sich kaum vorstellen, dass hier vor wenigen Jahrzehnten nichts als Acker war. Im Jahr 1998 begann die Erschließung durch die Cronenberger Steinindustrie Franz Triches GmbH, die das Hartsteinwerk errichtete und von Anfang an einen langfristigen Plan vom Aufschluss bis zur Rekultivierung verfolgt. »In 30 Jahren wird hier ein artenreicher Landschaftssee sein«, wirft Wienbrock einen Blick voraus. Die Spanne dazwischen ist nicht nur durch eine möglichst lukrative Produktion geprägt. Wie bei jeder Investition heute gelte es, strenge Umweltschutzstandards zu erfüllen.
»Unsere Arbeit stellt einen Eingriff in die Kulturlandschaft der Magdeburger Börde dar. Die über dem Andesit befindlichen Ackerflächen müssen dem Gesteinsabbau weichen. Es entstehen große Böschungsflächen und bei der Gewinnung und der Weiterverarbeitung des Gesteins Lärm und Staub«, sagt der Betriebsleiter.
»Menschen, Tiere, Wasser, Boden«, zählt er die zu beachtenden Schutzgüter auf. Die Belastungen zu minimieren und möglichst auszugleichen, gehöre zum »Alltagsgeschäft« seines Unternehmens. Wenn Wienbrock über die rund 50 Naturschutzprojekte berichtet, die der Betrieb parallel zur Gewinnungstätigkeit umsetzt, gerät er ins Schwärmen.
So entstanden in der Umgebung zum Beispiel durch Sanierung von Altlastflächen Streuobstwiesen oder Ackerflächen, Teiche, Feldgehölze und neue Wegebeziehungen in Parkanlagen für die Bevölkerung. Besonders stolz ist er auf die gute Zusammenarbeit mit einem örtlichen Naturfreund und den Naturschutzbehörden bei der Umsiedlung von Feldhamstern und Zauneidechsen. Andererseits sei ein aktiver Steinbruch auch Lebensraum für viele Tierarten. Raubvögel beispielsweise nutzen die spezielle Thermik und kreisen oft in großer Zahl über dem Tagebau, um auf Nahrungssuche zu gehen. Rote-Liste-Arten wie die Zauneidechsen würden durch den Betrieb erst »angelockt«, da sie nur in den steinigen Steilhängen ihren perfekten Lebensraum finden. Die Aufwendungen, die das Unternehmen für den Natur- und Umweltschutz leistet, sind enorm.
Kopfzerbrechen bereiten dem Betriebsleiter andere unvorhergesehene Ausgaben durch die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen Monate. Der Dieselpreis sei um 50 Prozent gestiegen. Der Strompreis habe sich bislang mehr als vervierfacht. Die Mehrkosten allein für Energie summierten sich auf zwei bis drei Millionen Euro im Jahr. Die Kostensteigerung einfach weiterzugeben funktioniere nicht, da die Firma meist an langfristige Lieferverträge gebunden sei. Hinzu komme, dass der Absatz im Privatbereich eingebrochen ist. »Den Häuslebauern geht so langsam bei den vielfältigen Preissteigerungen die Luft aus«, sagt Wienbrock. Und wenn es nicht bald wirksame politische Weichenstellungen gebe, vielleicht einer ganzen energieintensiven Branche, zu der auch nunmal Steinbrüche gehören.
Autor: Christian Wohlt aus "Der Markt in Mitteldeutschland", 10/2022