Die Windpioniere aus dem Wendland

Sie heißen Wendolina, Lina und Wendo. Dass Windenergieanlagen einen Namen haben, das gibt es vielleicht wirklich nur im Wendland. Der Landstrich stand über fast 40 Jahre wie kein anderer für Protest gegen Atomkraft und den Widerstand gegen Atommülltransporte. Das geplante Endlager Gorleben ist mittlerweile Geschichte. Aber Wendolina, Lina und Wendo drehen sich immer noch am Jeetzeler Berg bei Lüchow. Mit ihrem Alter von mehr als 25 Jahren gehören sie technisch mittlerweile zum alten Eisen. „Aber sie sind gut in Schuss und können bei guter Pflege noch lange laufen“, sagt Dieter Schaarschmidt, Geschäftsführer der Betreibergesellschaft.
Windrad vor blauem Himmel
Glückwunsch zum Jubiläum: Am ersten Juli wird die Wendland Wind Energie GmbH & Co. KG in Lüchow 25 Jahre alt. © Dieter Schaarschmidt
Mit 82 Kommanditisten war die erste Wendland Windenergiegesellschaft 1996 als Bürgerbeteiligungsprojekt gegründet worden, um im Wendland die ersten Windräder überhaupt zu errichten. „Der Atomindustrie ins Gesicht blasen“ – der markige Spruch steht noch heute auf der Website. „Die Hauptmotivation war tatsächlich, zu zeigen, dass es auch ohne Atomkraft geht“, sagt Schaarschmidt, der von Anfang an federführend dabei war.
Eine Anlage mit 600 Kilowattstunden Nennleistung kostete damals gut eine Million Mark. „Das war für uns eine unvorstellbar große Summe. Doch das Interesse war so groß, dass unsere Hauptsorge bald nicht mehr die Finanzierung war. Wir hatten eher das Problem, dass wir die Leute vertrösten mussten, weil es mit der Baugenehmigung nicht voranging.“
Ein Regionales Raumordnungsprogramm, das Wind-Standorte ausweist, gab es noch nicht, den Behörden fehlte schlicht die Erfahrung mit Anlagen im Binnenland. Am Jeetzeler Berg, der nicht wirklich ein Berg ist, fand man schließlich „den einigermaßen idealen Standort unter den schlechten Binnenstandorten“, so Schaarschmidt. Als Wendolina nach einem Jahr Zuwachs bekommen sollte, beteiligten sich schon 120 Menschen an einer zweiten Wind-Gesellschaft. „Als die erste Anlage lief, haben die Leute aus dem Dorf nebenan sich gleich an den nächsten beteiligt, weil sie gesehen haben, dass das keine Beeinträchtigung ist.“
Der Wind pustet heute immer noch, aber die Rahmenbedingungen sind andere. Die über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) garantierte Einspeisevergütung, die viele Jahre für gute Renditen sorgte, wurde 2020 abgeschafft. „Der Strompreis lag damals an der Börse bei nur ein bis zwei Cent. Ein wirtschaftlicher Betrieb war so nicht möglich“, sagt Schaarschmidt. „Wir haben die Gesellschaften abgewickelt und allen, die noch risikobereit waren, angeboten, in eine Weiterbetriebsgesellschaft zu gehen. Ziel war, auch bei geringen Erträgen die Anlagen möglichst lange weiterlaufen zu lassen.“ Ein Vertrag mit dem örtlichen Stromversorger sichert jetzt eine feste Vergütung über fünf Jahre. Allerdings: „Sollte ein größerer Schaden an Generator oder Getriebe auftreten, dann lohnt es sich einfach nicht mehr.“
Andernorts heißt die Lösung „Repowering“, gemeint ist der Austausch alter Anlagen durch neue, höhere und leistungsstärkere. „Das hätten wir längst gemacht, wenn es möglich wäre“, sagt Schaarschmidt. Das Problem: Die geltenden Abstandsregeln zur Bebauung wären nicht einzuhalten. Dazu gibt es politische Bestrebungen, die Rundlingsdörfer im Wendland als Weltkulturerbe auszuweisen. Also kommt Gegenwind vom Denkmalschutz.
Gruppe junger Leute hat sich auf einem Windrad platziert.
Das Motto der Wendland-Windenergie-Gründer ist noch heute auf der Website zu lesen: "Der Atomindustrie ins Gesicht blasen." © Dieter Schaarschmidt
Auf der anderen Seite: Nie war der Ruf nach dem Ausbau Erneuerbarer Energien so stark wie heute. Die Freude bei den Wendländer Windpionieren über mögliche gesetzliche Lockerungen ist dennoch etwas getrübt: „Es ist gut, dass jetzt eine neue Dynamik entsteht und Windkraft eine zentrale Rolle kriegt“, sagt der Geschäftsführer. „Ich hoffe nur, dass es bürokratische Vereinfachungen geben wird, damit auch Bürgerenergieprojekte künftig eine Chance haben. Es kann nicht sein, dass den Großen der Windbranche der rote Teppich ausgerollt wird, während die Auflagen für regionale Bürgerprojekte nicht mehr zu wuppen sind. Dabei haben die doch die größte Akzeptanz.“
Dass den Erneuerbaren nicht nur im Wendland die Zukunft gehört, steht für Schaarschmidt, der für die „Grünen“ viele Jahre im Kreistag saß, dabei außer Frage. Angesichts des Krieges in der Ukraine und der deutschen Abhängigkeit von Gas und Öl wachse auch in der Bevölkerung die Zustimmung für Windenergie, ist er überzeugt. Fest macht er das auch an eigener Beobachtung. Seit 20 Jahren bietet er während der „Kulturellen Landpartie“ Führungen auf die Windräder an, erzählt dabei etwa, dass eine moderne Anlage 30mal so viel Strom produzieren könne wie eine alte. „Noch nie war das Interesse so hoch wie in diesem Jahr.“
Potenzial für weitere Windprojekte sieht der Wendländer etwa in den großen Waldflächen des Gorlebener Forsts. Und wenn es mit einem großen Nachfolger für Wendolina, Lina und Wendo nicht klappen sollte, bliebe immer noch Plan B: „Dann möchten wir hier einen Solaracker errichten. Es wäre ja zu schade, wenn die vorhandene Infrastruktur nicht weiter genutzt würde.“  Ute Klingberg
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