Raus aus dem Wald, rein ins Netz

Forstwirtschaft geht online: Waldbegehung per Drohne, GPS-gestützte Lagerhaltung, Online-Store mit Schnittholz-Konfigurator und „produktionsgeprüftem“ Werkzeug – die Firma Timbercut aus Söllichau, Bad Schmiedeberg, ist vor rund zwei Jahren in die Digitalisierung gestartet und spielt gleich vorne mit.
Justin Kollautz sitzt dort, wo viele Stadtmenschen gerne wären: mitten im Wald, in der Dübener Heide. 2019, kurz vor Beginn der Corona-Pandemie, ist er als Juniorchef und technischer Leiter in das von seinem Vater Holm 1991 gegründete Forstwirtschafts-Unternehmen Timbercut eingestiegen.
Für den gelernten Maschinenbauer stand von Beginn an fest: Er würde den Familienbetrieb auf ein neues, digitales Level heben, um die Zukunft zu sichern. „Die Digitalisierung ist mein Job. Während meines dualen Studiums habe ich Digitalisierungsprojekte in deutschen Großkonzernen kennengelernt und fand es sehr spannend, wie die das machen. Davon kann auch der Mittelstand profitieren“, sagt Justin Kollautz. „Denn um zukunftsfähig zu bleiben, müssen wir unsere Prozesse verbessern – und außerdem macht es mir riesigen Spaß, diesen Bereich mit neuen Ideen voranzutreiben.“

Auch Traditionalisten überzeugt

Das erste Digital-Projekt der Forstwirtschaftler, unterstützt durch das Förderprogramm „go-digital“ des Bundeswirtschaftsministeriums: die Onlineplattform Timberstore, die Absatzmöglichkeiten über die Region hinaus eröffnet. „Mein Vater hat sich gefreut, dass ich damit in die Firma einsteige und hat meine Pläne sofort unterstützt“, erinnert sich Kollautz. Die fast zwei Dutzend Beschäftigten waren da anfangs skeptischer. „Zum einen sind wir eine sehr traditionelle Branche. Andererseits dauert es ja auch zwei bis drei Monate, bis man bei solchen Digitalprojekten die Ergebnisse sieht. Aber inzwischen sind alle begeistert und finden unseren – ihren – Shop cool!“
Unter dem Motto „Timberstore – mehr als nur Holz“ werden neben Holzprodukten ebenso Bekleidung, Forstbedarf und Sägeketten verkauft. Das Projekt hat überzeugt: Jetzt hat Timbercut im 2022er Wettbewerb „Digitale Erfolgsgeschichten“ der gewerblichen Kammern Sachsen-Anhalts den ersten Platz erreicht.

Schnittholz online konfigurieren

„Wir sind ein Forstunternehmen mit viel Wissen aus jahrelanger Erfahrung. Diesen Mehrwert, den das
Justin Kollautz und sein Vater Holm
Justin Kollautz und sein Vater Holm. © Markus Scholz
Handwerk zu bieten hat, wol len wir mit unseren Online-Kunden teilen“, so Kollautz. „Deshalb verkaufen wir nicht irgendwas, sondern Produkte, mit denen wir täglich arbeiten und die wir auf Herz und Nieren geprüft haben – also ‚im Wald getestet und für euch verfügbar’.“
Mit 300 Besuchern pro Monat sei der Shop gestartet. „Inzwischen kommen 18.000.“ Besonderer Hit: der Schnittholz-Konfigurator. „Das ist unser Kernprodukt. Schnittholz direkt vom zertifizierten Erzeuger, ohne Sägewerk und Holzhändler dazwischen. Wir überspringen diese Teile der Lieferkette. Wir haben das Holz, sägen es nach Wunsch und senden es zu – unsere Kunden wissen genau, wo ihr Holz herkommt.“ Die Auslastung sei von Beginn an gut gewesen: „Während der Corona-Zeit haben viele ihre Wohnung aufgemöbelt. Aber die Nachfrage ist nach wie vor hoch. Wir haben einen Vorlauf von vier Wochen, um Termine an der Säge zu vergeben. Denn wir schneiden auf Bestellung und sägen nach Auftragseingang.“

Daten in der Cloud, Waldbegehung per Drohne

Doch der Online-Shop war erst der Anfang: „Die EDV-Infrastruktur (elektronische Datenverarbeitung) auf dem Betriebsgelände wurde modernisiert, ebenso unsere Dokumentenverwaltung. Rechnungen zum Beispiel gibt es jetzt nur noch digital, wir sind auf dem Weg zum papierlosen Büro“, erklärt Kollautz stolz. Die Daten für das Fuhrparkmanagement seien in der Cloud gespeichert. Jederzeit sei sichtbar, wo sich die Fahrzeuge befinden und welche Route sie im Wald nehmen. „Die genauen Standorte der am Wegrand aufgetürmten Holzpolter sind per GPS markiert, sodass sie über eine GPS-Koordinatenkarte gefunden werden. Früher wurde viel geschlagenes Holz im Wald vergessen, weil es nicht mehr gefunden wurde – das kann nun nicht mehr passieren!“, erläutert der Juniorchef.
Ein besonderes Highlight aber seien die Drohnenaufnahmen: „Wir setzen Drohnen ein, um Waldbegehungen zu optimieren und transparenter zu machen. Diese dienen als Grundlage für Angebote, die wir Waldbesitzern für Holzeinschlag bzw. die Beseitigung von Schadholz erstellen. Die Kunden finden das ebenfalls spannend.“ Nicht zuletzt erhalte man Superbilder und -filme für das Social- Media-Marketing.

Personalgewinnung auf TikTok

Wie viele andere Branchen sucht ebenso die Forstwirtschaft nach Arbeitskräften. „Wir haben zurzeit drei Stellen ausgeschrieben“, berichtet Kollautz. Durch die Digitalisierung habe sich das Unternehmen ein attraktiveres Image aufgebaut. Um mit jungen Leuten in Kontakt zu kommen, seien vor allem TikTok und Instagram geeignete Kanäle, so seine Erfahrung. Social Media fungiere als erste Anlaufstelle, um den Spaß an der Arbeit im Wald zu zeigen. „Wir bekommen viele Anfragen für Ferienjobs und Praktika, manche waren schon mehrfach bei uns.“
Kollautz hat aber noch weitere Pläne: „Wir wollen den Shop weiterentwickeln und den Fokus weiten, auf individuelle Tischplatten beispielsweise. Wir wollen eine kleine Transformation hinbekommen, für unsere klassische Forstwirtschaft den Anschluss ans digitale Zeitalter finden und wachsen.“

#modernmachen

In Sachen Digitalisierung beweisen etliche Unternehmen zwischen Arendsee und Zeitz, wie aus „#moderndenken“ – dem Landesmotto – Wirklichkeit wird. Das belegt der diesjährige Wettbewerb „Digitale Erfolgsgeschichten aus Sachsen-Anhalt“, den die vier gewerblichen Kammern aus Halle (Saale) und Magdeburg in diesem Jahr schon zum fünften Mal ausgelobt haben. Prämiert wurden wieder clevere Ideen, mit denen findige Firmen geschäftliche Herausforderungen digital meistern konnten. Drei Sieger wurden bei der 3. Digitalen Konferenz der Wirtschaft in Sachsen-Anhalt im Rahmen des bundesweiten Digitaltages am 24. Juni 2022 vorgestellt. Sie gewinnen insgesamt 9.000 Euro.
Es muss dabei nicht immer der vollautomatische künstlich-intelligente Industrieroboter sein. Den ersten Platz belegt in diesem Jahr das Bad Schmiedeberger Unternehmen Timbercut (siehe nebenstehender Artikel).
Den zweiten Platz erreicht die Waldgourmet GmbH aus Gardelegen. Der Wildfleisch- Lieferant kann über selbst entwickelte Apps nicht nur die aufwendigen EU-Dokumentationsvorschriften effizient erfüllen, sondern erhöht damit die Transparenz für seine Kunden. Dritter wurde die Gate to the Games GmbH aus Sülzetal. Dass der Online- Shop für Sammelkartenspiele inzwischen voll digitalisiert ist, hat das rasante Wachstum des Familienbetriebs erst möglich gemacht.
Mehr als 20 Unternehmen aus Industrie, Handel, Dienstleistung und Handwerk hatten sich in diesem Jahr um den Digitalpreis der gewerblichen Kammern beworben.
Mehr Beispiele finden Sie auf digitale-erfolgsgeschichten-sachsen-anhalt.de.