150 Jahre, die verpflichten

Im Jahr 1872 wurde der Grundstein für die heutige IHK Gießen-Friedberg gelegt. Das Jubiläum ist ein Anlass, zurückzublicken, wie alles begann, und nach vorn zu schauen, welche Rolle den IHKs künftig zukommt.
„Besorge mir die Ingenieure, die noch nicht gelernt haben, was nicht geht!“ Wie einst Automobilpionier Henry Ford lassen sich erfolgreiche Unternehmerinnen und Unternehmer nicht von Herausforderungen abschrecken. Seit 150 Jahren beweisen sie in der Region der IHK Gießen-Friedberg: Es geht, was auf den ersten Blick vielleicht nicht geht. „Und sie haben sich  zusammengeschlossen, um die wirtschaftlichen und politischen Geschicke unserer Region mitzugestalten“, sagt Rainer Schwarz, Präsident der IHK Gießen-Friedberg. „Das Thema Innovationen wird sich wie ein roter Faden durch unser gesamtes Jubiläumsjahr ziehen“ ergänzt Matthias Leder, IHKHauptgeschäftsführer.
Ihr 150-jähriges Jubiläum hat die IHK deshalb unter das Motto „150 Jahre IHK Gießen Friedberg: Innovationen gestern – heute – morgen“ gestellt. „Wir zeigen, wie innovativ unsere Unternehmen sind, welche genialen Lösungen sie immer wieder finden, um auf den Märkten am Ball zu bleiben und vorausschauend zu agieren“, verspricht Leder.

Engagement ist das A und O

Gemäß ihrem  Motto „Mitmachen – Mitbewegen – Mitgewinnen“ versteht sich die IHK Gießen-Friedberg als moderne Unternehmer- Mitmachorganisation. Im Mittelpunkt der Festaktivitäten, deren Höhepunkt ein Festabend Mitte 2022 sein wird, stehen denn auch die rund 50.000 Mitgliedsunternehmen. Nur dank deren ehrenamtlicher Unterstützung kann die Interessenvertretung und  Selbstverwaltung der Wirtschaft ihre hoheitlichen Aufgaben wahrnehmen, wie die Organisation und Kontrolle von Berufsausbildung und -fortbildung zur Sicherung von Fachkräften oder etwa im Gutachten- und Schiedswesen.
Neben den 92 hauptamtlichen Mitarbeitern engagieren sich im Kammerbezirk, der Gießen, den Vogelsberg und den Wetteraukreis umfasst, 1.800 ehrenamtlich tätige Unternehmerinnen und Unternehmer (darunter 800 Prüfer) in den diversen IHK-Gremien, ob in der Vollversammlung, auch „Parlament der Wirtschaft“ genannt, in den acht Ausschüssen oder in den Arbeitskreisen. Die Vollversammlung mit ihren von den IHKUnternehmen gewählten 63 Mitgliedern, die von der Vollversammlung gewählten  Ausschüsse, aber auch die zahlreichen Veranstaltungen der Kammer für den Nachwuchs sowie zu verschiedensten  Wirtschaftsthemen sind ideale Plattformen zum Anbahnen von Kontakten sowie zum Mitmachen, Mitbewegen und Mitgewinnen. Anders als bei den Berufsverbänden treffen bei den Kammern die Vertreter aller Branchen aufeinander. Auch bei der Organisation des Jubiläums unterstützen selbstverständlich Ehrenamtliche das IHKTeam. Neben der großen Jubiläumsfeier werden die Unternehmerinnen und Unternehmer mit einer Reihe weiterer Veranstaltungen und einer Festschrift gewürdigt.

In großes Netzwerk eingebunden

Das Credo „Mitmachen – Mitbewegen – Mitgewinnen“ endet keinesfalls an den Grenzen des Kammerbezirks. Vom „kleinen“ Netzwerk der IHK Gießen-Friedberg gelangen Positionen und Forderungen an die übergeordneten nächstgrößeren Kammer-Netzwerke und damit in eine breite Öffentlichkeit. Das sind:
  • der Hessische Industrie- und Handelskammertag (HIHK) mit den zehn hessischen Kammern, die die Diskussionen in den Landesministerien eng begleiten;
  • der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK), der als Vertreter aller 79 deutschen Kammern die wirtschaftlichen Interessen auf Bundes- und Europaebene bündelt;
  • die Auslandshandelskammern (AHK), die in 92 Ländern mit Büros den Markteintritt und die Expansion deutscher Firmen begleiten, indem sie zum Beispiel Geschäftskontakte vermitteln und Delegationsreisen organisieren.
Auch extern funktionieren die Kommunikationskanäle. Alle zwei Jahre treffen sich zum Beispiel zahlreiche hessische  Kammerorganisationen, darunter die der Ärzte, Notare, Rechtsanwälte, Ingenieure, auf einer großen Veranstaltung mit dem Ministerpräsidenten des Landes und Unternehmensvertretern, um das Kammerwesen in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu  rücken. Diese dicht geknüpften Netzwerke unterstützen die IHK dabei, den wirtschaftlichen Erfolg ihrer Mitgliedsunternehmen aus Industrie, Handel und Dienstleistungsgewerbe zu fördern. Die Pflichtmitgliedschaft gewährleistet dabei die Unabhängigkeit der IHK von Einzelinteressen. Alle Mitglieder profitieren gleichermaßen von einem offenen Zugang zu Stimmrechten, Rederechten und der Partizipation in den Gremien.

Eine wechselvolle Geschichte

Die Vertretung der Unternehmerinnen und Unternehmer blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Sie reicht von den Ursprüngen der französischen Chambre Superieur de Commerce Ende des 16. Jahrhunderts bis hin zur heutigen IHK. War das französische Modell noch von der Idee geprägt, dass der Staat eine Beratung durch kaufmännische Experten wünscht, bevorzugte die preußische Denkweise die Partizipation der Mitglieder, autonom und dezentral, wenngleich unter staatlicher Aufsicht.
„Es zeigte sich immer deutlicher, dass man eine Selbstverwaltung der Wirtschaft brauchte, auch um den Bürger für den Staat zu interessieren“, erläuterte der ehemalige Richter und Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Professor Ferdinand Kirchhof, in einem Festvortrag zu möglichen Zukunftsaufgaben der IHK während der Vollversammlung im September 2021. Mit  dem Vortrag hatte die IHK Gießen-Friedberg ihr Jubiläumsjahr 2022 eingeleitet.
Die Kammern Gießen und Friedberg waren als Großherzogliche Handelskammer Gießen am 20. September 1872 und als  Großherzogliche Handelskammer für den Kreis Friedberg 1898 gegründet worden. Im Jahr 1899 gründete die Kammer Friedberg eine kaufmännische Fortbildungsschule, die Buchführung, Korrespondenz, Wechsellehre, Rechnen, Handelsgeografie und Schreiben lehrte. Zur Kammer Friedberg gehörten Mitglieder der vier Wahlbezirke Bad Nauheim, Butzbach, Friedberg und Vilbel.
Die Stadtkammer Gießen stieg zügig zur Regionalkammer auf, indem sie sich im Jahr 1900 um die Landkreise Alsfeld, Gießen und Lauterbach erweiterte. Sie setzte sich für die Liberalisierung wirtschaftlicher Betätigung ein. 1905 waren 1.216 Firmen im  Handelsregister eingetragen. Mit dem 1902 verliehenen Status der Rechtspersönlichkeit konnte die Kammer auch die Aufsicht über die Börsen und andere Anstalten des Handelsverkehrs übernehmen. 1912 stiftete Bankier Siegmund Heichelheim anlässlich seines 70. Geburtstages 60.000 Mark für den Bau eines Kammergebäudes an der Lonystraße, wo die IHK heute immer noch ihren Sitz hat.
Während des Nationalsozialismus verloren die Kammern ihre Selbstständigkeit und wurden zur Gauwirtschaftskammer Rhein-Main zusammengeschlossen. Erst 1946 wurde diese von der Landesregierung aufgelöst und das Recht von 1933 wiederhergestellt. Auf Druck der amerikanischen Besatzungsmacht wurden die Kammern als privatrechtliche Vereine ohne Pflichtmitgliedschaft weitergeführt. 1947 erfolgten bei der IHK Gießen die ersten freien Kammerwahlen. Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammer am 22. Dezember 1956 wurden die Kammern schließlich wieder zu Körperschaften des öffentlichen Rechts. Der Beirat einer Kammer trägt seitdem die Bezeichnung  „Vollversammlung“. Drei Jahre später richtete die IHK Gießen eine Einigungsstelle zur Beilegung von Wettbewerbsstreitigkeiten in der gewerblichen Wirtschaft ein. Im Jahr 1999 schlossen sich schließlich die hiesigen Kammern zur IHK Gießen-Friedberg zusammen. Der Zusammenschluss war die erste freiwillige Fusion zweier Industrie- und Handelskammern seit mehr als 25 Jahren und ergab die viertgrößte (von sieben) IHKs im Bundesland Hessen.

Tradition und Innovation verbinden

Auch bei den Aufgaben der IHKs liegen Tradition und Innovation dicht beieinander. Insgesamt werde die Bedeutung der IHKs in Zukunft weiterwachsen, denn Binnenmarkt und Weltwirtschaft, neue Technologien und elektronische Vernetzung würden nach Beratung und Schulung verlangen, sagte der ehemalige Bundesverfassungsrichter Kirchhof. Im Zuge der Digitalisierung kann sich der Jurist vorstellen, dass die IHKs IT-Netze planen, schalten oder betreiben. Wenn ein allgemeines Interesse der Wirtschaft bestünde, dürften sich IHKs auch an Unternehmen beteiligen. Auch denkbar seien IHKs als „Wirtschafts-Cicerone“, also als Fremdenführer durch die Unternehmenslandschaft für ausländische Unternehmen. So könne die IHK über die  Auslandshandelskammern ein Türöffner werden, auch für Deutschland als Exportland.
Herausgegeben im IHK-Magazin im Januar 2022
 

Der Video zum Thema

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Stand: 02.05.2024