8 min
Lesezeit
Jiaozi aus Goslar Chinesische Teigtaschen Made in Germany
Asiatische Teigtaschen, auch gemeinhin als „Dumplings“ bekannt, sind längst kein Geheimtipp mehr. Sie haben sich zu einem beliebten Snack und einer festen Größe in der internationalen Küche etabliert. Ob in Restaurants oder als Tiefkühlprodukt aus dem Supermarkt – die handlichen Köstlichkeiten erfreuen sich auch in Deutschland wachsender Beliebtheit. Dabei sind sie nicht nur schmackhaft, sondern auch praktisch: Sie lassen sich leicht zubereiten, bieten eine sättigende Mahlzeit und überzeugen durch ihre vielfältigen Füllungen. Doch was viele nicht wissen: Die meisten dieser Produkte sind importiert oder werden in geringen Mengen und aufwendig von asiatischen Gastronomiebetrieben in Eigenregie hergestellt. Eine großflächige Produktion in Deutschland nach entsprechenden Qualitätsstandards gibt es bislang nicht. Genau das will Guosheng Liu mit der TAITAI Food GmbH ändern. Sein Ziel: die Herstellung hochwertiger Jiaozi nach traditioneller nordchinesischer Rezeptur – und das sogar „Made in Germany“.
Guosheng Liu, Gründer der TAITAI Food Germany GmbH.
Der gebürtige Chinese lebt seit über 35 Jahren in Deutschland, vornehmlich in Hamburg, und war lange Zeit im Tourismussektor tätig. Mit seinem Unternehmen China Tours organisierte er zahlreiche Aufenthalte tausender Reisender zwischen Deutschland und China und trieb damit den deutsch-chinesischen Kulturaustausch überaus engagiert an. Doch dann kam die Pandemie und brachte die Reisebranche zum Stillstand. Liu nutzte die Zeit, um eine neue Geschäftsidee zu entwickeln. Inspiriert durch befreundete Restaurantbesitzer und Chinaexperten in Hamburg und Berlin, reifte der Plan, Jiaozi gemäß authentischer Rezeptur in Deutschland auf den Markt zu bringen.
„Wir sind rundum zufrieden – sowohl mit dem Areal als auch mit dem Umland.“Guosheng Liu
Nach langer und aufreibender Suche fand er schließlich den idealen Standort: das Gelände einer ehemaligen Fleischverarbeitung im Goslarer Stadtteil Baßgeige. Die Produktionshalle im dortigen Industriegebiet bot perfekte Voraussetzungen für seine ehrgeizigen Pläne. Einst als Fabrik für Wildtiererzeugnisse genutzt, konnte die im bemerkenswert guten Zustand erhaltene Anlage zunächst mit geringem Aufwand hergerichtet werden – die neuen Maschinen mussten praktisch nur noch angeliefert und aufgestellt werden. Ein entscheidender Hinweis kam von Prof. Dr. Michael Hou von der TU Clausthal, deren zahlreiche chinesische Studierende die Region besonders attraktiv machten. So fiel die Wahl letztlich auf Goslar. „Wir sind rundum zufrieden – sowohl mit dem Areal als auch mit dem Umland. Hier finden wir alles, was wir brauchen, und dank der zentralen Lage sind die Wege in alle Richtungen angenehm kurz“, berichtet Liu.
Die nach nordchinesischer Rezeptur hergestellten Teigtaschen sollen zum Harzer Kassenschlager werden.
Chinesische Maschinen im Harzvorland
Ein Rundgang durch die Produktionshallen offenbart neben der passgenauen Raumaufteilung eine hochmoderne Ausstattung: Von der Teigknetmaschine über den Fleischwolf bis zur zehn Meter langen Schockfrostanlage ist alles vorhanden, um pünktlich zum Markteintritt konkurrenzfähige Mengen Jiaozi im großen Stil herzustellen zu können. Die dafür erforderlichen Anlagen wurden extra aus China importiert und auf dem Gelände zusammengesetzt, allerdings kam es zu unerwarteten Verzögerungen: Einige Gerätschaften entsprachen nicht den EU-Stromstandards und mussten umgerüstet oder zurückgeschickt werden. Zusätzlich zog sich das Genehmigungsprozdere der Umbauten länger hin als erwartet, was den ursprünglich angedachten Produktionsstart im Frühling 2024 unweigerlich nach hinten verschob. „Die zollrechtlichen Vorgaben der Europäischen Union haben uns vor größtmögliche Herausforderungen gestellt“, erinnert sich Liu. Die räumlich abgetrennten Bereiche mit ihren zahlreich verkleideten metallenen Fronten bieten beste Voraussetzungen für die Lebensmittelproduktion nach hohen hygienischen Standards und sind in Teilen durch ein fließbandähnliches System miteinander verbunden.
Die aufwendig hergerichtete Schockfrostanlage muss nicht mehr lange auf ihren ersten Einsatz warten.
Kulinarisches Erbe des chinesischen Nordens
Jiaozi können gewissermaßen als chinesisches Pendant zu den eher bekannteren japanischen Gyoza und koreanischen Mandu erachtet werden, weisen aber feine Unterschiede auf. Während Gyoza zumeist in der Pfanne gebraten werden, sind Jiaozi traditionell in heißem Wasser vorzufinden. Charakteristisch ist auch die reichhaltigere und würzige Füllung, die von Fleisch über Gemüse bis hin zu Nudeln reicht. Die Kombination aus dünnem Teigmantel und aromatischer Füllung sorgt für ein harmonisches Geschmackserlebnis, das sowohl in China als auch international Wertschätzung findet.
„Wir sind überzeugt, dass wir auch die deutschen Kundinnen und Kunden mit unseren Kreationen begeistern können.“Guosheng Liu
Das Rezept des primär aus Mehl und Wasser bestehenden Produkts reicht nicht überraschend über 2000 Jahre zurück. Der Legende nach erfand der Mediziner und später als „Gott der Gesundheit“ verehrte Zhang Zhongjing Jiaozi als Heilmittel gegen Frostbeulen und Mangelerscheinungen. Heute sind sie ein fester Bestandteil der chinesischen Küche, insbesondere zu festlichen Anlässen wie dem Neujahrsfest. Ihre Halbmondform erinnert an alte Goldschiffchen und symbolisiert Wohlstand und Glück. Besonders in Familien wird das gemeinsame Zubereiten der Jiaozi geschätzt – ein Ritual, das nicht nur kulinarischen Genuss bringt, sondern auch Gemeinschaft und Tradition stärkt.
Sobald der Betrieb anläuft, will TAITAI Food verschiedene Sorten Jiaozi auf den Markt bringen. Geplant sind Füllungen mit Rind, Huhn, Lamm, Schwein sowie vegane Alternativen mit Gemüse, Pilzen und Glasnudeln. Der Hauptvorteil der in Deutschland produzierten Jiaozi liegt auf der Hand: Sie erfüllen höchste Qualitäts- und Hygienestandards und sind frei von langen Transportwegen oder Importbeschränkungen. Eine erst kürzlich verabschiedete EU-Verordnung verbietet zudem die Einfuhr chinesischer Teigtaschen mit Fleischfüllung. Die logische Konsequenz? Produktion vor Ort! „Wir sind überzeugt, dass wir auch die deutschen Kundinnen und Kunden mit unseren Kreationen begeistern können“, zeigt sich Guosheng Liu kämpferisch.
Stufenweiser Vertrieb soll Erfolg bringen
Der Markteinstieg wird schrittweise erfolgen. Zunächst sollen die Teigtaschen an chinesische Communities und Gemeinden vertrieben werden. Erste Testverkostungen zeigten vielversprechende Reaktionen. Doch Liu denkt weiter: Langfristig soll TAITAI Food auch Zulieferer für die Gastronomie und den Einzelhandel werden. Ein weiteres Standbein könnte der Onlinehandel werden – entsprechende Vertriebsplattformen sind bereits im Blick, um Jiaozi auch deutschlandweit bequem nach Hause liefern zu lassen. Die Expansion in die allseits beliebten Go-Asia-Märkte sei ebenfalls Teil der mittel- und langfristigen Strategie. Liu ist überzeugt: „Die dort angebotenen Produkte kommen nicht an die Qualität authentischer chinesischer Jiaozi heran.“
Ein befreundeter Gastronom in der Schweiz war von der Qualität seiner Jiaozi derart begeistert, dass Liu inzwischen noch stärker an seiner Vision festhält. „Wir haben nicht nur Geld, sondern auch Unmengen an Blut, Schweiß und Tränen investiert, dass Aufgeben eigentlich keine Option mehr ist.“
Ende März, spätestens Mitte April soll die erste Tonne chinesischer Teigtaschen in Goslar vom Band rollen.
Bürokratie in der Endlosschleife
Wie bei jeder Unternehmensgründung sah sich auch TAITAI Food mit zahlreichen Hürden konfrontiert. Neben den zollrechtlichen Schwierigkeiten und dem offenkundigen Genehmigungs-Wirrwarr musste sich das Team auch mit Personalfragen auseinandersetzen. Ein eigens aus China angereister Ingenieur, der für die Installation und Wartung der Anlagen verantwortlich war, erhielt keine langfristige Aufenthaltsgenehmigung und musste zurückreisen. Ersatz wird dringend gesucht, denn die Maschinen benötigen spezialisierte Fachkräfte. „Der Austausch mit der Ausländerbehörde kann mehr oder minder als chaotisch bezeichnet werden“, erklärt Kathrin Teiwes, die Liu bei Verwaltungsaufgaben und Kundenanfragen unterstützt. Die Suche nach adäquatem Personal gestalte sich demnach als schwierig, es brauche Personal mit Sachverstand und technischem Know-how, um die Anlagen spätestens im Notfall bedienen zu können. „Leider sind wir bisher nicht fündig geworden, obwohl wir mit der Produktion bald an den Start gehen“, fügt sie hinzu. Zudem musste wider Erwarten eine Baugenehmigung eingereicht werden, die ursprünglich nicht kommuniziert wurde.
Fast alle Geräte sind durch ein fließbandähnliches System miteinander verbunden.
In Summe beanspruchten die unerwarteten Verzögerungen die gründlich einkalkulierten Ressourcen derart stark, dass sich Liu auf die Suche nach weiteren potenten Investoren machte. Mittlerweile befindet sich Liu mit zwei neuen Geldgebern respektive Partnern in der Endphase der Verhandlung, um den lang ersehnten Produktionsstart möglich zu machen. „Ende März, spätestens Mitte April sollen die ersten chinesischen Teigtaschen in Goslar vom Band rollen“, berichten die beiden Geschäftspartner in spe Tuxin Ye und Danyang Xu, die schon jetzt kräftig mit anpacken.
Wildbratwürste, Gosebier und … Jiaozi?
Bis zu 400 Tonnen Jiaozi sollen und können jährlich produziert werden, mit der Option zur weiteren Ausdehnung auf dem Firmengelände, sofern sich der potenzielle Harzer Kassenschlager durchsetzen sollte. Perspektivisch sollen auch weitere asiatische Spezialitäten wie Baozi (gedämpfte Teigtaschen aus Sauerteig) oder Süßigkeiten das Sortiment erweitern. Liu zeigt sich zuversichtlich: „Ich glaube fest daran, dass wir mit unserem Produkt eine Marktlücke gefunden haben und Goslar zu einem wichtigen Standort für die asiatische Lebensmittelproduktion machen können.“ Die ersten fünf Mitarbeitenden stehen auch schon in den Startlöchern, um im Mehrschichtbetrieb loszulegen.
Die erfolgreiche Gründung beweist trotz einiger Rückschläge, dass sich Investitionen auch in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten durchaus lohnen können. „Dass wir knapp zwei Jahre Vorlaufzeit benötigt haben, muss wohl oder übel als unglücklich bezeichnet werden. Wir haben nun alles beisammen und können hoffentlich zeitnah loslegen.“
jk
2/2025