"Das gibt das heutige Stromnetz nicht her“

Die Elektrifizierung des Transportgeschäfts auf der Straße kommt nur langsam in Fahrt. Es fehlt an der nötigen Infrastrukur. Speditionen und Verbände beklagen zudem die mangelnde Technologieoffenheit der Bundesregierung.
Von Sven Frohwein (Text) und Volker Wiciok (Fotos)
Christian Graf empfängt uns mit einem Lächeln. Passend zum Wetter, denn die Sonne strahlt an diesem Märztag. Lkw fahren im Minutentakt auf das riesige Gelände der Bochumer Spedition und verlassen es, ein stetes Kommen und Gehen. Spediteur Graf führt uns in sein Büro. 100 Lkw schickt die Spedition Graf jeden Tag auf Deutschlands Straßen. Und seit neuestem fahren die mit der Diesel-Alternative Bio-LNG, einem Gas gemacht aus den Hinterlassenschaften von Kühen und Schweinen, betankt an der betriebseigenen Bio-Gastankstelle.
„Damit sind unsere Gas-Lkw schon jetzt zu annähernd 100 Prozent CO2-neutral unterwegs“, sagt Christian Graf. „Nur schade, dass der Staat das nicht honoriert.“ Was der Unternehmer meint: Eine Vergünstigung bei der Maut gibt es dafür im Gegensatz zu Elektro- und Wasserstofffahrzeugen beispielsweise nicht. Sich darüber ärgern möchte der Spediteur aber auch nicht. „Den LNG-Weg werden wir auch mindestens die nächsten fünf bis sieben Jahre beschreiten.“
Die Spedition macht sich schon seit langer Zeit Gedanken darüber, wie das Tagesgeschäft nachhaltiger und umweltverträglicher vonstattengehen kann – und wie auf diese Weise auch im Transportgeschäft das Ziel, der klimaneutrale Straßenverkehr, erreicht werden kann. Deshalb haben Christian Graf und sein Vater Gerard ein Viertel der Flotte auf Bio-LNG umgestellt. „Das rechnet sich“, sagt der Sohn. Bis zu 5.000 Tonnen CO2 spare das Unternehmen auf diese Weise pro Jahr ein. „Und dieses Jahr wollen wir den nächsten logischen Schritt gehen und die ersten Elektro-Lkw bestellen.“
Doch das sei allemal schwieriger als mit Biogas unterwegs zu sein. Der Grund: „Es fehlt einfach an der nötigen Infrastruktur“, sagt Christian Graf. Und den Elektrofahrzeugen fehle momentan noch die Reichweite, um auf der Langstrecke eingesetzt zu werden. Deshalb möchte der Geschäftsführer die ersten Lkw mit Elektroantrieb auch im regionalen Güterverkehr einsetzen: „Dafür reichen die 400 bis 500 Kilometer Reichweite, die aktuell drin sind.“ Geladen werden sollen die Fahrzeuge auf dem Speditionsgelände. Graf plant den Bau und Betrieb mehrerer Supercharger, denn die Lkw müssen im Zwei-Schicht-Betrieb eingesetzt werden – und dann zwischendurch an die Ladesäule.
„Wir haben das große Glück, dass hier im Gewerbegebiet genügend Strom im Boden liegt, den wir nutzen können“, so Graf. Ein unschätzbarer Vorteil gegenüber den meisten Mitbewerbern, die solche komfortablen Voraussetzungen an ihren Standorten nicht haben. „Dort müssen die Stromkapazitäten erst einmal ausgebaut werden, um einen Betrieb der Elektro-Lkw zu gewährleisten.“
Eine Elektrifizierung der Langstrecke sei aus Sicht des Spediteurs auf absehbare Zeit nicht machbar. „800.000 Lkw sind jeden Tag auf Deutschlands Straßen unterwegs. Mindestens 25.000 Ladepunkte bräuchte man allein an deutschen Autobahnen, um das abzufangen“, sagt Graf. „Das gibt das heutige Stromnetz nicht her.“ Deshalb wünscht er sich mehr Technologieoffenheit: „Aber die Bundesregierung will selbst von Fahrzeugen mit klimaneutralem Verbrennungsmotor nichts wissen.“ Dabei sei beispielsweise der Bio-LNG-Lkw die perfekte Brückentechnologie.
Eine Einschätzung, die auch Dr. Christoph Kösters, Hauptgeschäftsführer des Verbandes Verkehrswirtschaft und Logistik NRW e.V., teilt: „Die Stromleitungen sind unterdimensioniert, die Strommengen reichen nicht aus.“ Biogas und HVO-Kraftstoffe auf Pflanzenbasis seien deshalb echte Alternativen, „zumindest bis Strom und Wasserstoff dann in Breite auch übernehmen können“, so Kösters weiter. „Aber vor allem die Grünen zeigen sich nicht technologieneutral“, kritisiert der Lobbyist die Berliner Politik. Dennoch gibt es laut Kösters einen kleinen Erfolg: Der Bundesrat habe am 22. März der Einführung des neuen nachhaltigen Dieselkraftstoffs HVO100 zugestimmt. Der neue Kraftstoff werde künftig an den Tanksäulen mit „XtL“ gekennzeichnet.
Sollte die Bundesregierung nicht gegensteuern, droht die Mobilitätswende unter den aktuellen infrastrukturellen und bürokratischen Bedingungen zu scheitern.
Aufgrund der Gesamtlage haben sich verschiedene Bundes-Verkehrs- und Logistikverbände in einem Brandbrief an Bundeskanzler Olaf Scholz gewandt. Darin kritisieren sie vor allem die immer größer werdende Schere zwischen steigenden Belastungen durch höhere CO2-Preise und die Beendigung von Förderprogrammen zur Anschaffung von Nutzfahrzeugen mit alternativen Antrieben als Folge der Haushaltskonsolidierung. Die Verbände stören sich ebenfalls an der fehlenden Begünstigung von Gas- und HVO-Fahrzeugen und mahnen unter anderem an, die CO2-Maut in Förderprogramme inklusive Kaufprämien für Nutzfahrzeuge zu reinvestieren. „Sollte die Bundesregierung nicht gegensteuern, droht die Mobilitätswende unter den aktuellen infrastrukturellen und bürokratischen Bedingungen zu scheitern“, sagt Dr. Christoph Kösters.
Und Christian Graf? Zeigt nicht ohne Stolz seine Gastankstelle. „Im Laufe des Jahres werden wir eine noch größere bauen“, sagt der Unternehmer. Diese sei dann auch öffentlich und könne von anderen Lkw angefahren werden. „Wir machen das einfach, weil wir daran glauben – und auf diese Weise unseren Beitrag zur Verkehrswende leisten können.“